Europameisterschaft mit alten Namen: Zurück in die Zukunft mit der Uefa
Die Europameisterschaft 2021 gibt es nicht. Dass die Europameisterschaft Euro2020 heißt, grenzt an Realitätsverweigerung. Mehr davon!
Seit ein paar Tagen liegt mal wieder ein Fußball-Sammelalbum auf unserem Küchentisch. Mann und Kinder wollen während der Europameisterschaft im Bilde sein. Ich frage lieber nicht, wie teuer die Stickertüten inzwischen sind.
Kurz dachte ich, sie hätten das falsche Heft erwischt. „Euro2020“ steht auf orangefarbenem Grund. Aber nein, die Europameisterschaft 2021 heißt tatsächlich so, auch im Fernsehen und Internet wird für die Euro2020 geworben. Als wäre die Uefa irgendwie hängen geblieben. Als wollte sie nicht wahrhaben, dass da letztes Jahr noch was anderes passiert ist, so ein Virus um sich griff und alles lahmlegte. Wie ein bockiges Kind beharrt sie darauf: Nein, wir kicken im Jahr 2020.
Was für eine herrliche Realitätsverweigerung! Machen wir doch einfach da weiter, wo wir im Juni 2020 aufgehört haben. Novemberhilfen, zweite und dritte Welle, Impfdesaster? Nie gehört! Depressive Jugendliche, verschuldete Unternehmen, überforderte Kliniken? Jetzt mal nicht übertreiben. Sicher, im März, als das öffentliche Leben plötzlich heruntergefahren wurde, haben sich alle ziemlich erschreckt, aber Gott sei Dank ist der Spuk ja nun fast schon wieder vorbei, zumindest hierzulande. Und zur Krönung des Sommers können wir jetzt im Biergarten mit Freunden ganz viel EM schauen.
Die Zeit aushebeln, ein Jahr Corona streichen – so viel subversives Potenzial hat die Uefa dann wohl doch nicht. Als Grund für den veralteten Namen nennt der Verband das 60-jährige Jubiläum der Europameisterschaften, das auf das Jahr 2020 fiel und das man weiterhin begehen wolle.
Wider den Müll
Bedeutsamer dürfte das sein, was in der Mitteilung weiter unten steht: „Zum Zeitpunkt der Verschiebung der Endrunde war bereits eine Menge Material mit dem entsprechenden Branding produziert worden, das im Falle einer Namensänderung vernichtet und neu produziert hätte werden müssen.“ Das wäre sicher sehr teuer geworden. Und wenn man Müll spart, ist es ja wirklich schlauer, stattdessen an der Uhr zu drehen.
Die Mitteilung stammt übrigens vom April 2020. Oder heißt das in Uefa-Sprache jetzt, April vor zwei Monaten?
Auch die Kinder haben sich über die falsche Jahreszahl auf dem Sammelalbum zunächst gewundert. Aber dann haben sie – viel wichtiger – die ersten Stickertüten aufgerissen. Der Sohn hat sich gefreut, weil er den Torhüter der Ukraine schon kennt, der habe in der EM-Vorrunde 2016 beim 0:2 gegen Deutschland im Tor gestanden. Ihm ist völlig wurscht, ob die Mannschaften laut Uefa 2020 oder 2021 gegeneinander antreten. Hauptsache, er kann viele Spiele sehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut