Eurokolumne: Tückische Exportstärke
Nicht nur die EU rüffelt Deutschland für den gigantischen Außenhandelsüberschuss. Dabei könnten von einer Korrektur alle profitieren.
D er Streit um Deutschlands Exportplus nimmt fortgeschritten ritualisierte Züge an. Und ein bisschen pathologische auch. So wie vergangene Woche, als die EU-Kommission erstmals sozusagen amtlich anmahnte, wir sollten unseren Überschuss abbauen. Industrieverbände und andere Gralshüter polterten reflexartig vom Angriff auf „unsere“ Exportstärke. Fertig.
Erstaunlich, wie stoisch viele nach wie vor am eigentlichen Kern der seit Jahren geäußerten Kritik vorbeidenken. Dabei könnten von einer Kurskorrektur alle profitieren. Natürlich gibt es ökonomisch keinen triftigen Grund, die Höhe von Exporten per se einzuschränken. Nur: Darum geht es ja gar nicht. Entscheidend ist, dass wir sehr viel weniger bei anderen einkaufen als wir dort verkaufen.
Man könnte auch sagen: Gemessen an unseren Exporten importieren wir zu wenig. Und das ist auf Dauer ein Problem, auch für uns. Durch seine Exportorientierung ist Deutschland nämlich mittlerweile gefährlich abhängig von der Konjunktur anderer Länder. Die Verkäufe im Ausland entsprechen heute mehr als der Hälfte dessen, was hierzulande erwirtschaftet wird, 2000 war es gerade einmal ein Drittel.
war Chefökonom der im Dezember 2012 eingestellten Financial Times Deutschland. Heute leitet er das Internetportal WirtschaftsWunder und ist Chief Economist der European Climate Foundation.
An dieser Stelle wechseln sich wöchentlich unter anderem ab: Jens Berger, Ulrike Herrmann, Rudolf Hickel, Sabine Reiner.
Da reicht eine Rezession in manchen Euroländern, und das schöne Exportwachstum kollabiert jäh – siehe 2012/13. De facto leben Deutschlands Exporteure damit immer auch von Ausgabenpartys anderer – mit entsprechender Absturzgefahr.
Exporttanz auf dem Vulkan
Wir setzen jährlich eine fünftel Billion Euro mehr im Ausland ab, als wir dort ausgeben. Das heißt, dass der Rest der Welt sich per Saldo mit diesen 200 Milliarden verschulden muss, also mehr Geld ausgibt als er bei uns umsetzen kann. Das ist ein Exporttanz auf dem Vulkan. Je höher das Einnahmeplus ausfällt, desto mehr Geld sucht rund um den Globus nach Anlagemöglichkeiten – in Ländern, die sich zunehmend verschulden.
Das führt über kurz oder lang zum Crash. Nur so lässt sich erklären, warum es in der letzten Krise deutsche Banken so stark traf. Sie hatten über Jahre deutsche Überschussgelder etwa in US- und spanische Immobilienmärkte gesteckt. Es ist eher frech zu behaupten, diese Überschüsse ergäben sich nun mal am freien Markt.
Spätestens seit der Standortpanik der 90er Jahre war es ja Ziel vieler Akteure im Land, die Exportpotenz um jeden Preis und via Agenda 2010 zu erhöhen. Kosten wurden gekappt: Geringere Löhne führten direkt zu geringerer Binnen-, also Importnachfrage.
Wenn dies in so dramatisch viel mehr Exporten als Importen resultiert, ist das kein spontanes Marktresultat, sondern Folge einer (unausgegorenen) wirtschaftspolitischen Strategie. Eine Strategie, für die sich der Gerd und seine Freunde immer noch gerne feiern lassen – und laut schimpfen, wenn andere Kollateralschäden wie untragbare Exportüberschüsse beklagen.
Zu verlangen, dass die Krisenländer nun bitte ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöhen, bringt wenig. Das hieße ja, dass die deutschen Exporte an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, sonst würden die Überschüsse nicht sinken.
Der galantere Weg wäre es, viel grundlegender zu korrigieren und ein paar Jahre lang alle wirtschaftspolitische Energie darauf zu verwenden, im Inland für höhere Einkommen und mehr Dynamik zu sorgen. Anders als oft beschworen, hält sich der Binnenaufschwung bislang arg in Grenzen. Für 2014 und 2015 werden weiter steigende Exportüberschüsse erwartet.
Zögernde Betriebe ließen sich dabei zu Investitionen animieren, indem man ihnen zeitlich begrenzt Sonderabschreibungen gewährt – von der Großen Koalition anno 2005 erfolgreich praktiziert. Und warum nicht Klimaschecks verschicken, um so Geringverdienern Ausgleich für Kaufkraftverluste durch steigende Energiepreise zu gewähren? Alles sinnvoller, als in ritualisiertes Jammern darüber zu verfallen, wie böse der Rest der Welt zu uns ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen