piwik no script img

Ethnografin hinter der Kamera

Die US-amerikanische Fotografin Martha Cooper durfte das anonyme Berliner Graffiti-Kollektiv 1UP eine Woche lang durch die U-Bahnhöfe der Stadt begleiten. Ihre Bilder sind noch bis Sonntag im Urban Spree zu sehen

Das Graffiti-Kollektiv 1UP besprüht U-Bahnhöfe mithilfe von Feuerlöschern, in die Farbe gefüllt wurde Foto: Martha Cooper/1 UP Crew/Ninja K

Von Julia Lorenz

Martha Cooper muss ihr Handy kurz beiseitelegen: Schon wieder quatscht sie jemand an. „Ich bin gerade umgeben von Dealern, weißt du“, sagt sie auf der anderen Seite der Leitung. Cooper sitzt auf einer Bank „im schlimmsten Viertel von Baltimore“, eine zwielichtige Ecke, wie man sie aus der Serie „The Wire“ kennt. Ausgerechnet hier erwischt man sie kurz am Telefon, zum Glück, denn Martha Cooper ist schwer zu fassen: „Hi from Bogotá“, schreibt sie am Donnerstag, kurz darauf informiert sie die taz, dass sie gerade auf dem Weg nach New York City sei.

Martha Cooper, Fotografin, Ethnologin und Dauerreisende, ist 75 Jahre alt. Und eine Legende: Cooper dokumentierte Subkulturen von Afghanistan bis Surinam, lichtete traditionelle Tattookünstler in Japan, SprayerInnen in südafrikanischen Townships und KünstlerInnen wie Keith Haring ab, lange bevor ihre Werke in den Galerien dieser Welt hingen. Als Fotojournalistin für die New York Post studierte sie das Straßenleben in New York City. Nun war Cooper erlaubt, was den meisten FotografInnen verwehrt bleibt: Zusammen mit der Fotografin Ninja K begleitete sie eine Woche lang die Berliner Graffiti-Crew 1UP auf Streifzügen durch die Stadt. Momentan sind die Fotos in einer Ausstellung im Urban Spree zu sehen, begleitend erscheint ein Bildband.

Es ist nicht nur ein Ritterschlag für Cooper, sondern auch für 1UP, denn Cooper verfolgt die Geschichte der Street-Art und HipHop-Kultur seit den späten 70ern – so beständig und sachkundig wie wohl keine zweite Fotografin. Im Januar 1980, erzählt Cooper, wurde sie von ihren AuftraggeberInnen zu einer Ausschreitung ins Viertel Washington Heights nach Manhattan beordert. Ein paar Jugendliche hatten einen Wettstreit begonnen und sollen in Streit darüber geraten sein, wer nun gewonnen habe. Cooper traf auf fassungslose PolizistInnen. „Die Cops sagten: ‚Diese Kids drehen sich auf ihren Köpfen im Kreis!‘, erzählt sie. „Als die Jungs freigelassen wurden, bat ich sie, mir zu zeigen, was sie da gemacht hatten, und schoss Fotos.“ Diese Bilder gelten als die ersten Dokumente, die eine Breakdance-Performance zeigen.

Im Laufe der 80er Jahre fotografierte Cooper Underground-Schlüsselfiguren wie den Graffitikünstler Dondi, der ihr weitere Pioniere des Fachs wie Futura vorstellen sollte. Ihr 1984 veröffentlichter Bildband „Subway Art“, eine Kollaboration mit dem Fotografen Henry Chalfant, gilt als Bibel der Street-Art-Dokumentation und trug dazu bei, HipHop-Kultur nach Europa zu tragen. Immer wieder begegnen einem Coopers Fotos in Form von Wandbildern: Die Graffitiszene zitiert ihre Chronistin.

Cooper spricht direkt, freundlich, no bullshit. Vergleicht man Bilder aus den 90ern mit denen von heute, sieht man nahezu die gleiche schmale Frau mit Jeans und Hoodie, nur Coopers kurze Haare sind mittlerweile weiß. Selbst ist sie nicht als Sprayerin in Aktion getreten. „Ich habe es einmal versucht, aber ich bin furchtbar schlecht darin“, sagt Cooper. Über 40 Jahre habe sie sich den Zugang zu einer ungewöhnlichen Welt erarbeit­­et, die nun auch ihre sei, wie sie sagt – „aber nur als Beobachterin. Ich will keine Graffitikünstlerin sein.“ Eher sieht sie sich als Ethnografin hinter der Kamera. Die Street-Art-Gretchenfrage – Kunst oder Vandalismus? – umgeht sie: Cooper sieht keinen Widerspruch darin, dass Graffiti beides zugleich sein kann.

Und so betrachtet sie auch die Berliner Crew 1UP als Phänomen von allgemeinem Interesse, das es zu dokumentieren statt zu bewerten gilt. Als Cooper vor Kurzem eine Ausstellung in Berlin hatte, traf sie Mitglieder der Crew zum ersten Mal. Man kam ins Gespräch und beschloss, ein gemeinsames Projekt zu realisieren. „Ich war geschmeichelt, dass 1UP mich auf meine alten Tage gefragt haben, ob ich sie begleiten will“, sagt Cooper. „Ich mag ihren Wagemut. Würden sie nicht in der Großstadt, sondern in den Bergen leben, würden sie wahrscheinlich ungesichert klettern.“

In Berlin hat das Kollektiv 1UP glühende Fans wie Feinde. Kaum ein Stadtteil im Zentrum Berlins, in dem ihr Logo nicht meterhoch von einer Brandmauer leuchtet. Die streng ano­nym und stets maskiert agierende Crew ist auf der ganzen Welt aktiv, sprayte in Athen ihr Logo gar über die gesamte Stadt verteilt. 1UP besprühen U-Bahnhöfe mithilfe von Feuerlöschern, in die Farbe gefüllt wurde, oder „bomben“ – also bemalen – in minutenschnellen Aktionen komplette U-Bahn-Züge, die dann ihr Logo durch die Stadt fahren: „1UP“ steht für „One United Power“.

In Zeiten, in denen getaggte Wände in Werbespots Authentizität vermitteln sollen, in denen die ikonischen Wandbilder von Banksy, dem wohl bekanntesten Künstler seiner Zunft, als Postkarten- und T-Shirt-Motiv zu einer Art Undergroundfolklore geworden sind, wirkt das Schaffen von 1UP je nach Sichtweise: genial anarchisch – oder gemeingefährlich. Um mit der Crew Schritt zu halten, kletterten Ninja K und Martha Cooper – Letztere immerhin im Rentenalter – durch U-Bahn-Schächte, schlugen sich durchs Gebüsch oder kauerten hinter Zäunen, um einen einfahrenden „Whole­train“ abzulichten. In einem Dokumentarfilm, der in der Ausstellung im Urban Spree zu sehen ist, bescheinigen 1UP Cooper, ziemlich schnell rennen zu können. War das nötig?

Bis zum Schluss kannte Cooper weder die Klarnamen noch den Wohnort der Mitglieder von 1UP

Es habe schon riskante Situationen gegeben, sagt sie. Aber darüber mag sie nicht reden. Schließlich will sie nach Berlin zurückkehren können, ohne Probleme zu kriegen, Ninja K lebt ja sogar hier. „Sagen wir es so: Die Cops sind nicht mit gezückter Pistole hinter uns hergerannt“, sagt Cooper. Und doch hatte es Konsequenzen für die Zusammenarbeit, dass das LKA Berlin die Crew seit Jahren sucht. Bis zum Schluss kannte Cooper weder die Klarnamen noch den Wohnort der Mitglieder. Um sich zu verabreden, schickte man sich kryptische Nachrichten über Zweithandys.

Arbeiten wie die von Cooper bergen für ihre ProtagonistInnen durchaus Risiken. Eine Chronistin von Subkultur zerrt Undergroundphänomene ans Tageslicht, wo sie betrachtet, von der Mehrheitsgesellschaft bewertet und möglicherweise vereinnahmt werden. Cooper aber lichtet Graffiti und andere Kulturtechniken des urbanen Underground nicht nur mit ästhetischem Interesse ab, sondern widmet sich ihnen, ganz Ethnologin, mit Feingefühl für das Umfeld, für die Lebensrealität ihrer ErschafferInnen. Ihr glückt der Balanceakt, zugleich Verständnis für die Selbstinszenierung von Gruppen wie 1UP zu zeigen und doch auf Abstand zu ihrem Sujet zu bleiben. Wer Coopers Fotos sieht, muss an Susan Sontags Erkenntnis denken, das Medium der Fotografie sei stets auch Ausdruck spezifisch moderner Erfahrungen.

Dieser Ansatz sichert ihr in der Szene riesige Anerkennung. Auf Tour mit ihr ergänzten 1UP ihr eigenes Tag mit Coopers Namen oder Initialen. Als Cooper vor fünf Jahren 70 wurde, sprühte das Who’s Who der New Yorker Street-Art-Szene ihren Spitznamen „Marty“ nebst Geburtstagsgruß an die Houston Wall in Manhattan.

Nun sitzt sie also auf einer Bank in Baltimore, ihrer Heimatstadt, die sie in den letzten zehn Jahren dokumentiert hat: Für das Projekt „Sowebo/Soweto“ stellte sie Fotos des Viertels Sowebo in Baltimore neben Aufnahmen aus der südafrikanischen Siedlung Soweto. „Vorhin kam ein Mann zu mir und sagte: Hey, du hast vor zehn Jahren mal meinen kleinen Sohn fotografiert – jetzt ist er schon 1,80 groß!“, sagt Cooper. Und erzählt von den Menschen in ­Sowebo. Länger und lieber als über ihre Ausflüge in den Berliner Untergrund.

Martha Cooper & Ninja K: One Week with 1UP. Urban Spree, Revaler Str. 99. Bis Sonntag, 27. Mai. Der gleichnamige Bildband ist ebendort und unter www.urbanspree.com erhältlich.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen