Ethisch korrekte Kaviar-Firma geht pleite: Töten ist günstiger
Vivace Caviar verspricht Luxus mit ethischem Anspruch, weil Störe vor der Eierernte nicht getötet werden. Jetzt meldete die Firma Insolvenz an.
Beim konventionellen Herstellen des Luxuslebensmittels sterben tonnenweise Störe. Die 2010 von der Meeresbiologin Angela Köhler und drei weiteren Mitstreitern gegründete Firma dagegen ist angetreten, um den Kaviarmarkt mit einer Alternative aufzurütteln, die das massenhafte Abschlachten der Fische obsolet machen soll. Die Methode, die Köhler am Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) entwickelt hatte, erschien durchaus viel versprechend.
Die Tötung der Störe ist bei der Kaviargewinnung normalerweise notwendig, weil nur unreife Eier resistent genug sind, um die spätere Verarbeitung schadlos zu überstehen. Bei dem Vivace-Verfahren dagegen warten die Fischhalter ab, bis die Eier reif sind und von den Eierstöcken in die Bauchhöhle gelangen. Durch eine sanfte Bauchmassage lassen sich dann die Eier ernten, wie es im Fachjargon heißt. Beim nächsten Laichen ein Jahr später kann der Prozess von vorne beginnen.
Der Clou an der Technik besteht darin, dass dem Störweibchen unter anderem mittels Licht- und Klangtechnik vorgaukelt wird, soeben befruchtet worden zu sein. Dadurch wird eine chemische Reaktion ausgelöst, die die Eier wieder in den unreifen und damit härteren Zustand zurückverwandelt. Bei der Ernte wird somit laut Unternehmen die gewohnte Qualität erreicht, wie sie Kaviarfans auf der ganzen Welt schätzen. Die Geschäftsidee überzeugte Investoren, die Geld für die 7.500 Quadratmeter große Produktionsfläche zur Verfügung stellten. Mehr als 7.000 Störe leben dort in Aquakultur, rund fünf Tonnen Kaviar sollten jährlich produziert werden.
Chinesisches Pendant 50 Prozent günstiger
Umso enttäuschter gab sich jetzt Vivace-Geschäftsführer Thomas Bauer: „Der Kaviarabsatz ist nicht so vorangegangen wie gewünscht.“ Weil ein Hauptinvestor abgesprungen sei, hätten die Verbindlichkeiten nicht mehr bedient werden können. Allein die laufenden monatlichen Kosten bezifferte Bauer auf 160.000 bis 200.000 Euro. Verantwortlich für die Misere ist für Bauer die Konkurrenz aus China. „Bei den Dumpingpreisen sind wir nur schwer konkurrenzfähig“, sagte er. Während der Kilopreis bei einer 30-Gramm-Dose mit sibirischem Vivace-Kaviar bei knapp 2.000 Euro liegt, wird das chinesische Pendant bis zu 50 Prozent günstiger angeboten. Sich auf dem „geschlossenen Kaviarmarkt“ zu behaupten sei „extrem schwierig“, so Bauer.
Doch das ist wohl nicht das einzige Problem. Dem Sender NDR sagte ein Feinkosthändler, dass der Vivace-Kaviar einfach „nicht so gut gewesen sei wie der von herkömmlich gewonnenen Fischeiern“.
Unklar ist auch, ob das von Vivace-Gründerin Angela Köhler entwickelte Verfahren tatsächlich das erste ist, bei dem die Fisch die Eiabgabe überleben – wie die Werbung glauben machen will. Für Nachfragen stand das Unternehmen nicht zur Verfügung.
Tötungsfrei ist effizient
Beim Umweltverband WWF sind die Expertinnen von der Vivace-Eigenwerbung überrascht. „In Russland ist es schon seit Jahren gängige Praxis, dass in Aquakulturen Kaviar geerntet wird, ohne dass die Störe dabei getötet werden“, sagte Störschutzexpertin Jutta Jahrl der taz. Dort, aber auch bei Vivace, gehe es „wohl in erster Linie um Effizienz“. Denn auf diese Weise könne ein Stör bis zu siebenmal „verwendet“ werden. Die konventionelle Kaviarherstellung will Jahrl nicht „pauschal kritisieren“. Immerhin werde das komplette Fleisch der getöteten Störe „in der Regel weiterverarbeitet“, sagte sie.
Bei Vivace Caviar wurde aus der bisherigen GmbH mittlerweile eine neues Unternehmen geformt, „auch, um die Anfragen internationaler Kunden befriedigen zu können“ und um die „Gewinnung strategischer Investoren zu vereinfachen“, wie Geschäftsführer Bauer in einer Erklärung wissen lässt. Der Betrieb in Loxstedt geht weiter, inklusive dem vermeintlichen Alleinstellungsmerkmal: „Kaviar aus tötungsfreier Störhaltung“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind