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Essay Konservatismus in DeutschlandEin grauer Traum

Die AfD-Erfolge zeigen: Die bürgerliche Mitte ist verunsichert. Doch Alarmismus nutzt nichts. Eine Rolle rückwärts würde der CDU schaden.

Deutsche Zustände: Dass so viele Deutsche für Parolenpolitik empfänglich sind, ist keine Überraschung. Foto: dpa

Am Tag nach dem Erfolg der Rechtspopulisten herrscht bei den etablierten Parteien allgemeines Händeringen. Ein CDU-Minister fordert von der Bundesregierung, sie müsse die Asylfrage jetzt endgültig in den Griff bekommen und für die von der komplexen Welt überforderten Bürger „Verständnisschneisen“ schlagen.

Die Wahlforscher haben betrübliche Nachrichten für die Strategen in den Zentralen der wankenden Volksparteien. Die Angst vor Asylbewerbern, das gravierende Problem der Kommunen, die Flüchtlinge unterzubringen, so ihre Analyse, ist nur der Anlass für den überwältigenden Erfolg der Rechtspopulisten.

Die Gründe liegen tiefer. Die Bindungskraft von CDU und SPD schwindet. Vor allem von Abstiegsängsten geplagte Männer haben in Scharen bei den Rechten ihr Kreuz gemacht. Doch anders als früher wählen nicht vor allem Ältere rechts, sondern Jüngere.

Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung entdeckt ein beunruhigendes Phänomen. Die Bürger neigen zu „aggressiver Apathie“. Und, besonders bedenklich, es sind nicht nur Unterschichtswähler, die ihrem Protest Luft machen. Die Rechtspopulisten kommen auch bei Hochgebildeten und Gutverdienenden an. Sie lassen sich auch nicht mehr einfach als Rechtsextreme verdammen. Die Rechtspopulisten setzen sich vielmehr als wahre Konservative in Szene, die zur Sprache bringen, was viele denken: Der Parteienstaat ist verkrustet. Der Parteichef der Rechtspopulisten in Stuttgart verkündet am Tag nach der Wahl, dass das alte Parteiensystem jetzt „endgültig ausgedient“ hat.

Angstbilder schon in den Neunzigern

All das war im April 1992. Die „Republikaner“ bekamen in Baden-Württemberg fast 11 Prozent. Im März waren 35.000 Asylbewerber nach Deutschland gekommen, auf der Flucht vor dem Krieg in Bosnien. Die Medien beherrschten Angstbilder von Flüchtlingsfluten, die uns überschwemmen. Und genau so selbstsicher wie die AfD heute, verkündeten die Reps damals, dass sie die Altparteien mit ihren Forderungen vor sich hertreiben. Damit hatten sie sogar recht. Am Ende beschnitten Union und SPD das Asylrecht 1993 bis zur Unkenntlichkeit.

Es wäre fahrlässig, ja töricht, bloß zu hoffen, dass die AfD wie die Reps letztlich im politischen Aus landen. Doch auffällig ist, dass an der Diskursfront vieles vertraut, ja gleich klingt. Der Studienrat und der Handwerksmeister, der immer CDU wählte und sich jetzt zu den Rechtspopulisten bekennt, ist keine neue Figur. Auch die Erkenntnis, dass Wähler launisch sind, zu Affektentscheidungen neigen, die allerdings noch lange keine stabile neue Bindung begründen, ist auch schon älter.

Wie die Reps 1992 versucht die AfD ein Doppelspiel zu inszenieren – nach außen konservative Bürgerlichkeit zu demonstrieren und unter der Hand Rechtsextremismus zu dulden. Was bei der AfD der gemütliche Jörg Meuthen ist, war damals bei den Reps der eloquente Anwalt Rolf Schlierer.

Klüger als einen alarmistischen Angstton anzuschlagen, ist es nun, bei der AfD die Widersprüche zwischen freundlicher Parteispitze und rüder Basis, zwischen der jovialen Fassade im Süden und dem kaum verdeckten Extremismus im Osten aufzudecken. Die AfD ist bislang vor allem ein Container für Wut. Sie braucht und bedient diese Ressentiments, von dem sich Frauke Petry und Jörg Meuthen stets mit Unschuldsmiene zu distanzieren verstehen.

Die AfD ist bislang vor allem ein Container für Wut.

Doch hate speech auf die politische Klasse ist der Treibstoff, der sie in die Höhe geschossen hat. Ob die AfD dauerhaft Erfolg haben wird, hängt auch davon ab, ob es der demokratischen Öffentlichkeit gelingt, kühl und ohne Schaum vor dem Mund, dieses Doppelspiel zu enthüllen. Immerhin glaubt auch die Hälfte der AfD-WählerInnen, dass die Rechtspopulisten zu wenig Distanz zu Rechtsextremen haben.

CDU von unbekannte Fliehkräften erfasst

Neu ist, dass die klassischen Parteien der alten Bundesrepublik, CDU, SPD und FDP, in Stuttgart und Magdeburg von weniger als 50 Prozent gewählt wurden. Ist dies also doch das Wetterleuchten jenes neu formierten Parteiensystems, das die Reps schon 1992 gekommen sahen? Der Anfang vom Ende der bislang in Stein gemeißelten Fixierung auf die Mitte als dem Ort, an dem die Macht gewonnen wird?

In Baden-Württemberg ist die CDU in der Tat von bislang unbekannten Fliehkräften erfasst worden. Mehr als 100.000 WählerInnen, die bei der Union beheimatet waren, haben sich Richtung liberale Grüne, die Merkel unterstützen, verabschiedet – andere in Richtung AfD. Ist dies ein Passepartout für eine Spaltung, die der bürgerlichen Mitte in der Republik bevorsteht?

Diese großformatige Vermutungen ist naheliegend, zu naheliegend. Wir sind in Deutschland, verglichen mit anderen EU-Ländern, ein äußerst stabiles Parteiensystem gewohnt. Wenn das Bild immer mehr oder weniger gleich war, erscheint schon der Steinschlag als Lawine.

Dass die Krise der Mitte wie unter einem Mikroskop vergrößert scheint, liegt auch an der Kanzlerin. Merkel hat ein Jahrzehnt lang perfekt die Sehnsucht der Gesellschaft nach Politik ohne Streit erfüllt und eine leicht sedierte Form von Demokratie perfektioniert. Das bedächtige bundesdeutsche Konsensmodell, das die AfD nun krachend stört, ist fast so alt wie die Republik.

Doch in der Ära Merkel und in Zeiten der Großen Koalition wurde der Streit, Motor der Demokratie, scheinbar ganz und gar außer Kraft gesetzt. Alles Schrille war auf Zimmerlautstärke heruntergedimmt, SPD und Union waren mitunter nur noch schwer unterscheidbar. Selbst als die EU in der Finanzkrise zu implodieren drohte, vertraute man hierzulande, dass Merkel und ihre Experten in Brüssel am Ende schon irgendeine Lösung finden. Die AfD füllt nun das diskursive Vakuum der Merkel-Ära mit rüden antipolitischem Ressentiment.

Die Kanzlerin, meinen manche, hat das Bürgertum und ihre Partei mit zu viel Liberalität überfordert. Demnach war die Flüchtlingspolitik nur der letzte Tropfen. Das klingt plausibel – ist es aber nicht. Denn diese Lesart übersieht, dass die Merkel-Kritiker in der Union nie ein klare Alternative anzubieten hatten. Ob sie für oder gegen den Mindestlohn, Eurorettung oder den Ausstieg aus der Atomenergie waren, blieb stets unklar. Die Opposition gegen Merkel ähnelte in vielem der Merkel-CDU – in zentralen Fragen war sie schwankend.

Fast 200.000 Ex-CDU-Wähler in Baden-Württemberg haben diesmal bei der AfD ihr Kreuz gemacht. Davon werden, wenn der Flüchtlings-Hype vorbei ist, einige wieder zur Union zurückkehren. Irgendwann wird auch dem schwäbischen Handwerksmeister Björn Höckes überdrehter Kreischton auf die Nerven fallen. Es gibt auch einen harten Kern, der bei den Rechtspopulisten bleiben wird. Das paradise lost der AfD ist eine Republik ohne Windräder und Moscheen, ohne Euro und Homo-Ehe, mit Wehrpflicht und Atomkraftwerken. Kurzum – ein grauer Traum von den 80er Jahren. Die AfD ist eine Partei der Phantomschmerzen.

Keine Überraschung

In der CDU liebäugeln nun manche mit einer Rolle rückwärts, um sich als Volkspartei der Mitte wieder in Stand zu setzen. Doch das rechnet sich nicht. Es wird der CDU in der Mitte weit mehr kosten, als es ihr bei den unbehausten Retro-Konservativen nutzt.

Und schließlich: Wer sich wundert, dass mehr als ein Zehntel der Bürger im Westen (und in Sachsen-Anhalt mit traditionell schwachen Mitteparteien und situativ mobilisierbaren Affektwählern sogar ein Viertel) für Parolenpolitik empfänglich ist, war bisher schlecht informiert. Wilhelm Heitmeyer hat in den Studien „Deutsche Zustände“ jahrelang gezeigt, dass ein Fünftel zu autoritären Mustern bis hin zu rassistischen Vorurteilen neigt.

Diese Studien haben auch klargemacht, dass diese Mentalitäten keineswegs immer gleich sind. In der Merkel-Ära sank die Zahl überzeugter Rechtspopulisten eine Weile. Denn rechte Vorurteile bilden kein monolithischen, abgedichteten Block, sie reagieren vielmehr feinnervig auf gesellschaftliche Debatten.

Nur wer glaubte, dass die Merkel-Union unmerklich und widerspruchsfrei in den liberalen urbanen Mitte ankommen und der Rechtspopulismus sich dabei sanft in Luft auflösen würde, ist nun um eine Illusion ärmer.

Vielleicht stellt die AfD nicht die Union, sondern SPD und Linkspartei vor komplizierte Aufgaben. Denn in der Unterschicht und der unteren Mittelschicht lösen Migrationsbewegungen harte Verteilungskämpfen aus – nicht bloß Phantomschmerzen. Linkspartei und SPD aber haben offenbar die Sensoren in diese Milieus verloren. Und damit auch die Kraft, Ressentiments im demokratischem Diskurs aufzufangen.

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27 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Auch Sie liegen völlig falsch, Herr Reinecke. Was auffällt ist doch folgendes: Nie hatten wir so einen hohen Bildungsdruchschnitt, nie zuvor so viele Abiturienten, Studenten, Akademiker. Nie zuvor so viel Wohlstand. Wir haben nicht 1926 sondern 2016. Die Frage ist also: Warum schlägt sich all die Bildung nicht in politisch-gesellschaftlicher Intelligenz nieder?

    • 2G
      2097 (Profil gelöscht)
      @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Wie groß ist denn der Anteil der Akademiker bei den Wählern der AfD?

      • @2097 (Profil gelöscht):

        Natürlich bekennt sich der Großteil der Neurechten nicht mal zur AfD. Sie spielen seit Jahren eine angebliche neutrale Mitte vor.

  • Die Leute haben nicht direkt afd gewählt, sondern haben diesen Lügenmist abgewählt, einfach mal gegen Schummel Diesel, Flüchtlinge, die vor mit an der Kasse stehen, überzogene Boni-Zahlungen, abgekackte Rente, Null Zinsen Politik usw.

    Die Wähler sind enttäuscht, genauso enttäuscht wie ich es von den Grünen war. Joshka's Bruoni-Anzugspartei. Bei den Grünen sieht man wie es läuft. Die haben ihre Ex Basis auch abgeschossen, und Joshka wirbt nun für BMW ...

    schlimmer gehts nimmer.

    Und die Antwort muss rechts kommen, denn das ist ein richtig fettes BUUUUUUH

    • 2G
      2097 (Profil gelöscht)
      @bloggerlogger:

      Na ja, in Sachsen-Anhalt haben viele Arbeitslose die AfD gewählt, ohne jedoch zu beachten, was die AfD Politik hinsichtlich Arbeitslosengeld für sie bewirken würde. Soviel Dummheit ist schon beeindruckend und kann nur dadurch erklärt werden, dass der Hass auf Flüchtlinge so groß ist, dass man sogar die eigenen drastischen Nachteile nicht sehen möchte bzw. hinsichtlich Verteilungskampf würde sich nichts für einen selbst verbessern, sondern nur verschlechtern. Erstaunlich, wie das eigene soziale Verrecken grob fahrlässig in Kauf genommen wird. Die Entsolidarisierungsstrategie des Verbandes der deutschen Familienunternehmen, welche Förderer der AfD sind, scheint vollständig aufgegangen zu sein.

    • @bloggerlogger:

      Menschen, die ein Problem damit haben, dass andere Menschen, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind, "vor mir an der Kasse stehen" - die haben ganz andere Antworten verdient.

  • "…Der Parteichef der Rechtspopulisten in Stuttgart verkündet am Tag nach der Wahl, dass das alte Parteiensystem jetzt „endgültig ausgedient“ hat.…"

     

    Das - & der Rest - wird

    Unseren Primadonnen in

    Karlsruhe - verstärkt in den

    Ohren klingen - ja klingeln!

    Es pfeifen die Spatzen von den

    Dächern -

    Daß das Gericht lieber

    Heut als morgen seine - öh

    "Parteienentscheidungen"

    In die Tonne treten würde!

    Aufgrund derer haben sich nämlich

    ExekutivRegierungsfraktionsKomplexe

    Gebildet - die auch in 'schland die

    Parlamente in Bund&Ländern zu

    Hinkenden Papiertigern denaturiert haben!

    Diese antiDemokratische Wirklichkeit

    Der Volksvertretungen - wird in der

    Medienöffentlichkeit -

    "Wes Brot ich ess - dess Lied ich sing "- Weitgehend Kommentarlos Hingenommen - Gestützt -

    Paraphrasiert - ja Hofiert!

     

    Die jetzt vergossenen Krokodilstränen Der Hang zur hektisch-hilflosen Betriebsamkeit - will eben das nur

    Mehr als durchsichtig kaschieren.

    Denn dieser oben umrissene - Weitgehend unkontrolliert agierende

    In-Group-Macht-Moloch ist eben Gleichzeitig - alternativlos hohl ~>

    Auf populistischen Machterhalt fixiert! Mangels demokratisch legitimierter Öffentlichkeitsprozesse - als Basis

    Exekutiver Politik/Entscheidungen!

    Kretschi turnt das alles mit den Allfälligen Claqueuren querbeet vor!

    Und nicht nur er - Hanoi ~>

    The Whole Ugly Crew!

    So geht das.

     

    Wie ändern?

    Nun - allein Karlsruhe ist bekanntlich Nicht! - an seine eigenen Entscheidungen gebunden;!¡))

    Nur Mut.

    • @Lowandorder:

      Optimist ! Oder naiv ?

      Jaja ...die Hoffnung stirbt zuletzt .

      (...war s i e nicht das größte Übel , das in der "Büchse der Pandora" kleben geblieben war ?)

      Es spricht nichts dafür , dass bei Beteiligung von mehr Parlaments'populus' die wesentlichen Exekutiventscheidungen durchweg besser , gerechter usw werden könnten . Warum ? Weil DurchschnittsparlamentarierInnen auch keine bessere Qualifizierung für die Erledigung des Regierungsgeschäftes , sprich : der Exekution von Systemstruktur bedingten Sachzwängen mitbringen .

       

      ... und keine Partei in Sicht , die an Letzteren grundlegend etwas ändern zu wollen vorhat .

      • @APOKALYPTIKER:

        kurz -

        Ein Neues Volk für Onkel!

        ;()

  • ".....sie reagieren vielmehr feinnervig auf gesellschaftliche Debatten...."

    .

    Das wäre ja schön, aber aus der AFD Ecke sowohl von Funktionärs- wie auch Wählerseite sind "Debattenbeiträge" mMn. wohl sehr dünn gesät.

    .

    Vorurteile, Schlagworte, nur durchsichtig verdeckte Übernahmen aus den "1.000 Jahren" finden sich da reichlich., auch Angst vor dem "Abstieg".

    .

    Doch gesellschaftliche Debatte, gar politischer Kampf um Resourcen usw. wo findet das denn statt? Nicht dort wo diese Wahler in der Mehrheit zu finden sind.

    .

    So lange das "Glaubensbekenntnis" des Neokapitalismus nachgebetet wird, ohne das auch nur im Ansatz zu hinterfragen... wars das wohl mit "Debatte"

    .

    Brummt

    Sikasuu

    .

    Ps. Geschichte wiederholt sich nicht, aber die ganze Situation erinnert doch ziemlich ans "kleinbürgerliche" faschistoid angehauchte Getue der 1916-1918 bzw. der 30-33 Jahre in Ost- und Mitteleuropa. Vielleich mal wieder Trotzki lesen:-) Bei aller Polemik die er so bringt, im Rahmen Gesellschaftanalyse findet man dort sehr viele Gemeinsamkeiten, Vregleichs-& Anküpfungspunkte zu HEUTE!

    .

    Pps. Hinterher ist es wieder keiner gewesen, bzw. "so war das doch nicht gemeint!" Wo kommen wir den hin wenn wir für unsere "Wahlentscheidung" auch noch Verantwortung übernehmen müssen:-((

  • 2G
    2097 (Profil gelöscht)

    Leider wurde seit 1998 eine zunehmend drastische unsolidarische Politik von allen Regierungsparteien in diesem Land vorgenommen. Anscheinend befürchten viele Bürger noch mehr soziale Einschnitte aufgrund der Flüchtlingskrise und hoffen mit einem Aufnahmestopp die Verteilungskämpfe vorerst entschärfen zu können. Den Linken alleine wird halt nicht zugetraut Mehrheiten zu finden, um eine solidarischere Politik umzusetzen. SPD und Grüne sind eher wirtschaftsliberal als sozial und daher sind keine Mehrheiten in diesem Land für eine solidarischere Politik zu erkennen.

    Wenn die Kernelite jahrelang Rücksichtlosigkeit in der Steuer- und Sozialpolitik vorlebt, wird dies auch von den darunter liegenden Einkommensschichten aufgegriffen und auf den schwächsten wird herumgeprügelt. Zuerst waren es die Hartz 4 Empfänger, die jahrelang in der Blödzeitung diffamiert wurden, um von der unsolidarischen Politik abzulenken. Heute sind es die Flüchtlinge, die noch weiter unten in der Hackordnung sind. Die Animal Farm von George Orwell lässt grüßen.

    Wenn die unsolidarische Politik weiter fortgesetzt wird in der Flüchtlingskrise und die Vermögenden sich aus dem Solidarsystem weiterhin verabschieden, indem sie weiterhin drohen ihr Vermögen ins Ausland zu transferieren (bspw. wie der Lobbyist Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen (Wirtschaftswissenschaftler) bei Maischberger am 17.02.2017), nicht mehr in Arbeitsplätze zu investieren oder sich weiterhin mit der Relativierung herausreden, dass sie nominal bereits am meisten Steuern zahlen (leider aber prozentual weniger als jemand aus der mittleren Einkommensschicht), dann wird dieses unsolidarische Verhalten leider weiter salonfähig gemacht und das bedeutet die AfD wird noch mehr Zulauf erhalten.

    • @2097 (Profil gelöscht):

      Das klingt alles so lange schlüssig, bis man mal einen Blick ins Programm der AfD wirft und feststellt, dass sie eine massiv neoliberale Agenda haben, inklusive Abschaffung von Mindestlohn und Erbschaftssteuer und auch sonst primär dadurch eine Freundschaft mit der FDP verhindert wird, dass selbst der FDP Monopolbildungen dann doch zu viel freier Markt sind.

       

      Jetzt kann man das auf Unwissen bei den AfD-Wählern schieben oder darauf, dass sie alle Trickle-Down-Kool-Aid geschlürft haben, aber so richtig zu einem Bild zusammenfügen will sich das in meinem Kopf noch nicht.

      • @Christian:

        Und genau hier stellt sich mir die Frage wie eine Malu Dreyer und Andere ernsthaft Diskussionsrunden mit AfD boykottieren konnten. Genau hier ist der große Ansatzpunkt. Diese Entscheidung war grundlegend falsch. Das Bild das hier abgegeben wurde war verheerend.

      • 2G
        2097 (Profil gelöscht)
        @Christian:

        Das ist richtig, doch dem Wähler ist dies entweder nicht bewusst oder aber der Stopp der Flüchtlingsaufnahme hat Vorrang, um die Verteilungskämpfe vorerst entschärfen zu können. Und dafür wird das unsoziale, wirtschaftsliberale und sozialdarwinistische AfD Programm in Kauf genommen. Die mittlere Einkommensschicht erhofft sich dadurch keine Steuern- und Abgabenerhöhungen und die unteren Einkommensschichten weniger Konkurrenz auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt. Diese Logik basiert auf der unsolidarischen Verhaltensweise und Grundeinstellung der Kernelite und wird somit übernommen, das ist ja das enorme Problem. Eine Entsolidarisierung findet statt, die von der Kernelite propagiert wird seit Jahren.

        • @2097 (Profil gelöscht):

          Mag sein, dass das der Grund ist. Auch wenn es mir schwer fällt zu glauben, dass Leute ernsthaft in vollem Bewusstsein Verteilungskämpfe um ihre kläglichen 10% führen und gleichzeitig der reichen Elite ihre 90% gönnen.

  • Der Artikel tut gut. Zeitungsperspektivität, besonders "bürgerlicher Presse", zirkelt ja oft (notwendig) betriebsblind eng verwandt verquickt mit einem gern präferiert politisch nahestehenden Milieu ("Agenda"), in dessen Deutungsschablonen sie sich (fort?)bewegen: an gestern anknüpfen, und, wenn heute Unvorhergesehenes passiert, sich schwer tun, Zukünftiges nachzuvollziehen : Dilemma der Abgehängten, wie gerade paradiert bei den hilflos großverwirrten Verlierer-"Alt-Parteien" zu beobachten. Dabei war es ein Knall mit Ansage. Um zum Artikel zurückzukommen: gut tut, wie er über den Tellerrand schaut und Außenstehendes einbezieht. Das große Revirement um Wachstums-Marktanteile 'sPD nach #rechts# cDU nach #links# (obsolet werdende Kategorien) birgt eine Gefahr : für eine Trimm-Destablisierung der Demokratie an sich, die, einverstanden, zwar "noch" nicht im Raume steht, aber hörbar an der immer engerverknappenden Möglichkeitstür schon unbekannt kratzt; denn die Probleme werden nicht gerade weniger, und die Mittel scheint's immer dürftiger; und kein #System# hat eine Existendenz-Garantie. Wohltuend bemerkt sind daher Gegenschäumen wie 1x GESTIEGENE Wahlbeteiligung, wie auch die Fähigkeit des Wählers taktisch einen gebugten gehörten Erschreckens-Warnschuß zustande zu bringen. Noch war es eine Warnung. Sollte der allerdings verpuffen (Leyen exerziert's pars pro tot-o), könnte - 666- Gewohnheit daraus erwachsen, wie einstmals einige dem Grün waren oder festgesetzt wurden. Die (nicht nur) 'Alt'parteien haben noch ungefähr 10-15 Jahre Lebenszeitspanne der Einmal-Für-Immer-verstockt-Gewohnheitswähler vor sich; bis dahin müssen sie backen; dann ist die Schonfrist - für alle in diesem (noch) demokratischen u-Boot - - vorbei, und die reale Gefahr täte allein nicht mehr nur gekratzt haben.

  • Ach was tut das gut zu sehen, dass es doch noch Leute gibt, die das Problem kennen und benennen können. Atalaya, Mowgli, Karl Kraus - meine vollste Zustimmung. Mehr solcher Beiträge in der politischen Debatte!

  • Wenn ich die Kommentare so lese wird mir einerseits schlecht. Andereseits stimme ich dem voll zu!

     

    Die AfD wurde bestimmt nicht wegen dem Sozialen gewählt. Sondern aus Frust und Protest gegen eine abgehobene Oberschicht / Eliten die sich entsolidarisiert haben!

     

    Im Osten ist man eh noch beim Führer verortet, der Dank DDR immer für Arbeit gesorgt hatte.

     

    Leider sind eben die Wähler nicht sehr intelligent! Und ein Bildungsbürgertum, welches sich entsolidarisiert hat, sich von den Armen abwendet muß sich dann nicht wundern, wenn hier wieder Faschisten an die Macht kommen!

     

    Auch gab es schon immer einen Bodensatz Nazis. Die waren nie weg. Weder in der DDR, geschweige in der BRD!

     

    Wäre die Mitte geschlossen bei der Einfürung von Harzt 4 auf die Straße gegangen, hättne wir solche Zustände auch nicht! Ausserdem haben die Medien die AfD HOCH geschrieben!!

     

    Darüber sollte mal ein Jeder Journalist nachdenken! Auch negative Zeilen sind Propaganda!

  • Was hier wieder völlig außen vor bleibt ist die Tatsache, dass die deutsche Außenpolitik die Flüchtlings"Krise" erst mit verursacht hat: Waffenexporte, mangelnde oder erbärmliche Entwicklungspolitik, Stützen von zwielichtigen Diktatoren oder "Uneingeschränkte Solidarität" mit der Außenpolitik der Vereinigten Staaten. Diese Dinge werden nun im Rahmen dieser Krise nicht mal in Frage gestellt: Wie ein Hund der immer wieder was schlechtes frisst und den Zusammenhang mit seinen Schmerzen beim ka*** nicht erkennt.

     

    Diese Politik muss erkennen, dass Außenpolitik nicht nur Handelspolitik für die einheimische (Waffen)Industrie ist in der sogar ein Westerwelle wie ein Staatsmann aussehen kann.

    • @Amie:

      Was hier natürlich auch zu bemerken ist: Viele Stimmen behaupten ja, dass diese (vor allem Syrischen) Flüchtlinge die ersten Klimaflüchtlinge sind. Auslöser (nicht Grund) des "Arabischen Frühlings" waren ja u.A. steigende Lebensmittelkosten auf Grund von Missernten durch Dürre. Hier sollte deutsche Außenpolitik auch mal vermehrt die deutsche Energiewende verkaufen, statt Leo2.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Die Mittelschicht hat Angst vor dem Abstieg, die Rente ist für die über 50-jährigen kein Grund mehr, sich auf den Ruhestand zu freuen. Die jungen Menschen konkurrieren um Kurzzeitjobs. Mindestens ein Fünftel der Bevölkerung arbeitet in prekären Verhältnissen.

     

    Die herkömmliche Politik sagt, die Leute sollen sich fit machen, damit die Wirtschaft prosperiert und etwas für sie abfällt. Allein, für die Normalverbraucher fällt nichts ab. Sie brauchen zwei durchschnittliche Vollzeitjobs, um dem propagierten Familienbild zu entsprechen. Wem das nicht passt, so die herkömmliche Politik, der möge Leistungsträger werden. Aber dazu braucht es eine Seilschaft, die zur "Leistung" trägt.

     

    In dieser Situation verkündet die herkömmliche Politik die Bildungsrepublik Deutschland und verkauft Frauen in Aufsichtsräten oder die "Homo-Ehe" als Errungenschaften. Aber Familie Normalverbraucher oder den Alleinerziehern Ottilie und Otto ist damit nicht gedient. Dann entdeckt die herkömmliche Politik ihr Herz für Flüchtlinge und lädt sie ein, damit sie die Arbeits- und Mietverhältnisse noch prekärer machen. Eine Wohnung kaufen können sich Normalverbraucher ja nicht, trotz niedrigster Zinsen.

     

    Alle reden davon, wie gut es uns geht. Und tatsächlich können viele mit dem SUV zum ALDI fahren und mehrfach in den Kurzurlaub fliegen. Sie können erfolgreich so tun, als ob das Leben reicher und cooler geworden wäre, denn sie fühlen sich als dessen "Manager". Aber selbst die Wohlstandssurfer glauben sich nicht mehr so recht, wenn sie mal zwischen zwei Wellen innehalten müssen. Daher hauen sie, um ja nicht zu merken, wie tief sie drinstecken, immerfort kräftig auf die Kacke.

     

    Die Frustrierten haben die Sorgen schon längst freud- und mutlos gemacht. Kein Wunder, dass sie die herkömmliche Politik verschmähen, jetzt, wo sie endlich "die Wahl" zu haben glauben. Da stört es nicht, dass die noch neoliberaler ist als all die Schwarz"rot"grünen. Hauptsache, man fühlt sich verstanden.

  • Die AfD als "Partei der Phantomschmerzen" ist irreführend. Das Bein ist gar nicht ab. Das Bein hat niemals existiert. Und wie bei jedem Glauben ist das ein Problem und eine Chance zugleich.

     

    Bei einem 6-Stunden-Tag genügt z.B. der Mindestlohn selbst dann nicht für die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, wenn CDU-Minister "Verständnisschneisen" schlagen in die Hirne der erhofften Wähler. Ideologien werden uns nicht retten, fürchte ich. Nicht nur der Verstand ist überfordert mit der Realität, sondern vor allem das Gefühl.

     

    Man kann halt nicht von Ängsten profitieren, die man bekämpfen will. Psychiatrisch führt so etwas geradewegs in einen Wahn. Wer junge Leuten gehirnwäscheartig predigt, der ökonomische Aufstieg sei das ultimative Lebensziel, und sie gleichzeitig daran hindert, weil erfolgreiche Unternehmer nun mal niedrige Löhne brauchen und möglichst viele abschreckende Beispiele, der riskiert auf Dauer nicht nur seinen Sitz im Parlament. Er riskiert auch seinen Hals. Nein, das ist keine Drohung. Das ist belegt. Und zwar gleich durch mehrere wissenschaftliche Disziplinen.

     

    Übrigens: Vermutlich war und ist einer Mehrheit aller Wähler klar, dass Debatten nötig sind für positive Entwicklungen in einer Gesellschaft. Nicht umsonst wünschen sich viele eine echte Wahl-Alternative. Wenn trotzdem (zu) vielen Leuten "das diskursive Vakuum der Merkel-Ära" vergleichsweise attraktiv erschienen ist, dann hat das möglicherweise etwas mit dem Verfall der politischen Kultur zu tun. Wer parteiintern eine Basta-Strategie fährt und seinem externen Gegner (in einer Art und weise, die man im besten Fall hemdsärmlig nennen kann) rhetorisch ankreidet, was er sich selbst großzügig zubilligt, der braucht sich gar nicht wundern, wenn man ihn nicht mehre reden hören will.

    • @mowgli:

      Sehr richtig, Ihre Ausführungen.

  • Es ist ja auch zu sehen, das seit 2001 im inhabergeführten Einzelhandel ca. 170.000 Arbeitsplätze Richtung Konzernhandel "abgewandert" sind. Da sind Mechanismen im Gange, wo ich einschätze, das weitere tausende von noch ausreichend bezahlten Arbeitsplätzen wegfallen werden. Auch in dieser TAZ sind Beiträge wie z.B. der um BMW, die einen eigenen Fahrdienst aufbauen wollen. Der Daimler macht MyTaxi, auch nichts anderes. Ich stelle für mich fest das ich überzeugt davon bin, das die Kapitalinteressen, die sowieso schon eine Steuerung der Politik hinlänglich betreiben, das diese auch durch die Wahlen letzen Sonntag sich in Ihrem Tun keinen Deut beirren lassen. Und das ist für mich die eigentliche Gefahr für unsere Republik und Europa. Stichwort marktkonforme Demokratie. Das auf Grund der massiven Schuldenhaushalte beständig ein Wachstum der Märkte eingefordert wird, das uns irgend wann tonnenschwer auf die Füße fällt. 12-13 Millionen Menschen in unserem Land haben eine Arbeit, die gerade mal vom Einkommen her reicht. Rente und Pflege wie Sozialversicherungen sind bereits unterversichert. Alle Altparteien tun so, als wäre diese Wahl eine Überraschung. Ist es eben nicht. Und selbst Wahlsieger Kretschmann darf darauf achten, das die Grünen in BaWü die Schwarzen nicht bei Themen "überholen", die nichts, aber auch gar nichts mit grüner Politik zu tun haben.

    • @jörg krauss:

      Volle Zstimmung!

       

      Nur bringt hier Schreiben auch keine Leute auf die Straße!!

       

      DAS ist das Problem! Da die Eliten bereits abgehoben und arrogant sind!!

       

      Kretschmar gehört dazu. Der wird aus Machtherhalt alle Parteien noch überholen. Denn schliesslich wollen alle Reich werden.

       

      Die deutsche Geschichte wiederholt sich halt. Und wenn in Frankreich Le Pen an die Macht kommt, ist der Euro eh Geschichte. Dann kann sich der Rest, der sich entsolidarisiert hat freuen. Denn dann kommt wieder eine Währungsreform! Und am meißten werden die Deutschen verlieren!

       

      Der deutsche Untertan ist lernresistent!! Und dazu gehören Alle! in der Mitte.

  • Die CDU hat das roblem, dass die SPD schon lange hat: ihr soziologisches Milieu löst sich auf. Die CDU besteht im wesentlichen aus drei großen Gruppen: Katholiken, Nationalkonservativen und Wirtschaftsleuten. Jahrzehnte lang hatten sie gemeinsame politische Schnittmengen: Antikommunismus, soziale Marktwirtschaft, europäische Integration.

    Mittlerweile befinden wir uns aber in einer Situation, in der diese drei Gruppen extrem unterschiedliche Zielrichtungen haben, die man nicht mehr gut unter einen Hut bekommt. Katholische Kirche heute ist eben: globalisiert, kapitalismuskritisch, auf einen friedlichen Dialog mit dem Islam ausgerichtet. Das geht mit Nationalkonservativ und Wirtschaftsfreundlich nur schwer zusammen.

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @Breitmaulfrosch:

      "Katholische Kirche heute ist eben: globalisiert, kapitalismuskritisch..."

       

      Das ist v.a. der neue Papst. Da der deutsche Katholizismus bzgl. seines Gehorsams immer bisschen aufmüpfig war, gibt es auch jede Menge CDU-Katholiken, die durchaus wirtschaftsfreundlich bis neoliberal sind. Was bei der CDU eindeutig weggebrochen ist, sind die Herz-Jesu-Marxisten. Dafür hat die CDU höchstwahrscheinlich ein paar % zurückbekommen von den Verlusten unter Schröder-SPD. Letztendlich wird die CDU für absehbare Zeit immer eine 30+ PArtei bleiben, die SPD dagegen...