Es schwurbelt in Bremen: Demo-Beobachter vor Gericht
In einem Video hat ein Aktivist Demonstrierende unter anderem als Querdenker und Nazis bezeichnet. Seine Anwältin spricht von einem Skandal.
„Diese Leute“ – damit sind Demonstrierende aus dem Querdenken-Spektrum gemeint, oder jene, die mit ihnen gemeinsam auf die Straße gehen. Der Angeklagte begleitet solche Demos, inzwischen nicht mehr nur in Norddeutschland. „Meine Hauptberufung ist, denen das Leben so schwer wie möglich zu machen“, sagte er in der Verhandlungspause. Übergriffe habe es noch nicht gegeben, Anfeindungen dagegen schon. Seinen Namen möchte er deswegen nicht öffentlich nennen. Laut seiner Anwältin ist er „eine gewisse Hassfigur“, weil er bei solchen Veranstaltungen kritisch auftrete.
Vor Gericht ging es um eine Demo am 14. September 2022. Rund 150 Menschen hätten im Bremer Stadtteil Vahr protestiert, sagte der Angeklagte vor Gericht. Er streamte auf seinem Twitter-Kanal „Demoticker & Infos HB“ ein Live-Video. Die Beschreibung: „Es schwurbelt in der Vahr #hb1409“.
Zu sehen sind ein gepflasterter Platz, große Polizeiautos, dahinter eine Gruppe Demonstrierender. Er selbst hält die Kamera und spricht zu den Zuschauenden – laut dem Stream sind das rund 16 Leute. „Es sind sehr, sehr viele Kiddies am Start, alle sehr interessiert, was hier abgeht.“
Ein Kind fragt: „Was heißt Nazis?“
Dann redet er mit den Kindern, die nicht zu sehen sind, ihre Stimmen sind aber im Hintergrund zu hören. „Moin, moin, ihr wisst, wer das ist? Querdenker, Impfgegner, Holocaustleugner, Rassisten, alles sowas.“ Später sagt er in dem Video: „Nazis sind auch mit dabei.“
Der letzte Satz ist am Donnerstag für die Richterin relevant: „Ich verstehe das so: Sie sagen, da sind Nazis dabei, und nicht, das sind alle Nazis.“
Im Video fragt ein Kind den Angeklagten: „Was heißt Nazis?“ Er antwortet: „Rechtsradikale. Das ist das Volk, das immer schreit ‚Ausländer raus‘. Aber pass auf: Dieses Nazis-raus-Schild, was du da siehst, das ist Bullshit, das machen die nur dran um wieder zu sagen ‚Wir sind ja keine Nazis‘.“ Er erzählt weiter, dass die Leute Chat-Gruppen bei Telegram hätten, in denen zum Beispiel gegen Geflüchtete gehetzt werde. Auch „Reichsbürger“ seien dabei.
„Ich bin Ausländer, ich geh hier nicht raus“, sagt ein Kind. „Ne, brauchst du auch nicht“, sagt der Mann. „Ich find’s schön, dass du hier bist.“
Zum Zeitpunkt, als er das Video streamte, hat das Profil etwa 4.600 Follower. Inzwischen heißt es auf der neuen Plattform X „Der Captain“.
Aufruf zur Anzeige
Anwältin Lea Voigt erzählte vor Gericht, dass die Veranstaltenden nach der Demo dazu aufgerufen hätten, ihren Mandanten anzuzeigen. Die Staatsanwaltschaft habe deren Behauptungen einfach übernommen und einen Strafbefehl beantragt. Weil ihr Mandant sich gegen diesen wehrte, stand er nun vor Gericht. Die Behörde habe nicht geprüft, ob die Worte ihres Mandanten nicht auch eine „wahre Tatsachenbehauptung“ sein könnten, rügte die Anwältin.
Denn die Gruppe, die die Demo veranstaltete und sich damals „Gemeinsam stark“ nannte (später: „Bremen steht auf“), kommt im Verfassungsschutzbericht 2022 vor. Unter den Organisator*innen befänden sich „auch Angehörige des Phänomenbereichs der ‚Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates‘“, heißt es darin.
Bei ihren Demos werden „regelmäßig Mitglieder der im Jahr 2021 aktiven, extremistischen Gruppierung ‚Querdenken 421‘ als Ordner eingesetzt“. 2022 hätten, wie im Vorjahr, „vereinzelt langjährige Mitglieder der Bremer sowie der überregionalen rechtsextremistischen Szene“ an Demos teilgenommen.
Im Bericht werden einzelne Demos genannt, auf denen bestimmte Leute aufgetreten sind. Auch online kursierten ihre Ansichten: „In den ‚Gemeinsam Stark Bremerhaven‘ und ‚Bremen steht auf‘ zuzuordnenden Telegram-Kanälen werden regelmäßig Beiträge geteilt, die sich gegen das Demokratieprinzip richten.“
Staatsanwalt hält Argumentation für unglaubwürdig
Ob die Behauptungen des Angeklagten aus dem Video wahr sind, wurde am Donnerstag gar nicht thematisiert. Schnell war klar, dass die Formulierungen ohnehin keine Verurteilung für Beleidigung zulassen. Auch wenn der Staatsanwalt es „unglaubwürdig“ findet, dass es nicht um die ganze Gruppe gegangen sei – der Angeklagte habe das Wort „dabei“ ja schließlich nur einmal am Rande eines Satzes gesagt, bei den Zuschreibungen vorher aber eben nicht. Zudem gehe es um eine öffentliche und „scharfe“ Beleidigung. Eine Geldstrafe sei daher „angemessen“.
Er war zudem überzeugt, dass der Angeklagte gar nicht wissen könne, wer da so demonstriert hat. Auch darüber musste dieser lachen. Seine Anwältin antwortete: „Wir haben das Gericht damit verschont, die Leute einzeln durchzugehen.“
Voigt erzählte abschließend: „Für meinen Mandanten war das keine Kleinigkeit. Er hat letzte Nacht kein Auge zugetan.“ Sein politisches Engagement stehe erheblich unter dem Einfluss des Verfahrens. „Die Leute haben erreicht, was sie wollten. Sie stellen ihn auf Demos als Straftäter dar.“ Die Worte ihres Mandanten fielen unter die freie Meinungsäußerung. Ihrer Ansicht nach hätte es die Verhandlung nicht gebraucht. „Das ist ziemlich skandalös. Mich lässt das wirklich sprachlos zurück“, sagt die Anwältin.
Ihr Mandant ist nach der Verhandlung erleichtert: „Der Stein müsste noch da oben im Gerichtssaal liegen.“
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