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Es ist nicht gerecht, wenn einige Eltern Ihre Kinder schon Tage vor den Ferien aus der Schule nehmenSchwänzen mit einemAugenzwinkern

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Am Donnerstag fangen in Hamburg die Ferien an, am Montag in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Wer einmal eine Ferienwohnung gemietet hat, weiß, dass es An- und Abreisetage gibt, jedenfalls in der Saison, und An- und Abreisetag ist in der Regel der Samstag. Deshalb ist der Samstag, in dem in drei benachbarten Bundesländern die Ferien anfangen, ein Tag, an dem sehr viele Menschen gleichzeitig in den Urlaub fahren. Die Autobahnen sind voll. Die Züge sind voll. Die Flüge ausgebucht und angeblich besonders teuer. Es ist ein Übel, an genau diesem Tag verreisten zu müssen, an dem so viele andere Menschen auch verreisen wollen.

„Es wäre so viel besser, zum Beispiel schon am Mittwoch vor diesem Samstag zu fahren“, sagt sich der eine. „Wir könnten doch Dienstag Nacht fahren, da kostet es nur die Hälfte“, sagt die andere. Und dann sagen sich viele, dass die Schule doch nichts besonders Wichtiges ist, insbesondere nicht vor den Ferien.

Stimmt das? Vor den Ferien wird vorgelesen und Fußball gespielt, man kennt es aus seiner eigenen Schulzeit, die endlos sich dahinziehenden Tage vor den Ferien, in denen sich die große Müdigkeit ausbreitet, bei den Schülern und auch bei den Lehrern. Wenn die Sonne draußen lockt und endlos lange, noch unverplante Ferientage vor einem liegen. Man sitzt in den muffig heißen Räumen, hört kaum die müde Stimme des Lehrers und träumt sich weg.

Und vierhundert Euro könnten wir sparen, wenn wir jetzt schon flögen? Einige Eltern sind so schlau. Einige Eltern, und das werden laut dem NDR in Schleswig-Holstein immer mehr, nehmen ihre Kinder schon vor den offiziellen Ferien aus der Schule. „Wir machen das einfach.“ Augenzwinkern. „Ist ja eh nichts mehr los.“ In der Woche vor den Ferien lernen die Kinder in der Regel nichts Wichtiges mehr in der Schule.

Aber, es ist etwas anderes, was die Kinder in der Woche vor den großen Ferien lernen. Sie lernen, die Ferien abzuwarten. Vielleicht veranstaltet die Schule ein Picknick, ein Sportfest, ein Fußballspiel. Vielleicht erzählen die Lehrer Geschichten. Vielleicht zeigen sie alle zusammen ihre Müdigkeit, lassen sich ein bisschen gehen, aber sie sind noch da. Sie harren noch aus. Alle zusammen. Weil es so abgemacht ist.

Die Woche vor den Ferien ist so etwas wie die Zeit vor dem großen, jährlichen Feierabend. Man arbeitet noch, aber bereits in Erwartung des Ausruhens und der Freude. Ein Arbeitnehmer arbeitet vor dem Urlaub meist besonders viel. Er muss dies und jenes noch schaffen, sonst kann er nicht in den Urlaub gehen. In der Schule kann diese Zeit, zum Glück für unsere Kinder, noch ruhiger, freundlicher ablaufen als die übrige Schulzeit, in der der Tests geschrieben werden, in der gelernt werden muss.

Seine Kinder früher aus der Schule zu nehmen, bedeutet, ihnen eine Erfahrung wegzunehmen, die Erfahrung des gemeinsamen Auf-die-Ferien-Wartens, es bedeutet, sie in ihrer Tätigkeit, in ihrem Leben als Schüler, nicht ernst zu nehmen. Außerdem: Wenn alle Eltern ihre Kinder früher aus der Schule nehmen würden, dann begännen für alle Kinder die Ferien eine Woche vorher, dann wäre die Woche vor der Woche vor den Ferien die Woche vor den Ferien und dann würden einige noch gewitztere Eltern als die mittelgewitzten Eltern vielleicht ihre Kinder ein paar Tage vor der Woche vor der Woche vor den Ferien aus der Schule nehmen.

Das ganze Ding mit dem Vorher-Ferienmachen funktioniert überhaupt nur, weil die meisten Eltern ihre Kinder nicht früher aus der Schule nehmen. Das heißt, die einen können sich diesen Vorteil nur verschaffen, weil die anderen drauf verzichten. Ist das vielleicht gerecht, hä?

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr neuer Roman „Das Dorf“ erscheint im August bei Rowohlt Berlin.

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