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„Es herrscht Wild-wuchs“

Bei Online-Schulmaterialien sind die Behörden zu lax, sagt Eva Matthes

Eva Matthes

ist Professorin am Lehrstuhl für Pädagogik an der Universität Augsburg. Sie forscht zur Ökonomisierung von Bildung durch Lehrmittel.Foto: Glasow/Uni Augsburg

Interview Maike Brülls

Frau Matthes, Sie untersuchen Schulmaterialien von Unternehmen, die gratis zum Download im Internet bereitgestellt werden. Wie bewerten Sie diese Angebote?

Eva Matthes: Die Materialien, die inzwischen häufig von unternehmernahen Stiftungen zur Verfügung gestellt werden, haben ein bestimmtes Menschenbild als Basis. Sie sind interessengeleitet. Es gibt aber Aspekte, wo man sagen kann, sie sind durchaus gelungen. Die Materialien sind oft toll designt, haben schöne Bilder, sind durchaus ansprechend. Auch der Aufbau und die Gestaltung der Aufgaben ist mit sehr viel Lebensweltbezug, sehr aktuell.

Trotzdem sind sie nicht neutral oder enthalten sogar Werbung. Wie kann es sein, dass solche Unterlagen in der Schule zum Einsatz kommen dürfen?

Was die Materialien von Unternehmen anbelangt, wird es sehr lasch gehandhabt. Es gibt kein Prüfverfahren. Jeder kann kostenlos Materialien ins Internet stellen. Da ist eine starke Diskrepanz: Es gibt in Ländern wie Bayern auf der einen Seite ein sehr strenges Zulassungsverfahren für Schulbücher, mit langen Prozessen und vielen Menschen, die sich auf der Basis von Kriterienkatalogen mit den entsprechenden Büchern beschäftigen. Und auf der anderen Seite herrscht, wenn man so will, Wildwuchs.

Es muss Behörden doch bekannt sein, dass solche Materialien online verfügbar sind?

Wir haben Personen aus der Bildungsverwaltung dazu befragt. Sie antworteten, Lehrkräfte seien schon fit genug, kritisch damit umzugehen. Der Aussage fehlt aber die Logik. Denn wieso gibt es dann überhaupt ein Verfahren für Schulbücher? Da könnte man ja auch Verlage machen und Lehrkräfte entscheiden lassen.

Wie können Lehrerinnen und Lehrer die Angebote prüfen?

Das ist natürlich nicht einfach. Man müsste Lehrerinnen und Lehrer ganz anders dafür ausbilden. Sie müssten Kriterien orientiert überprüfen, wie ob die Grundprinzipien der Multiperspektivität, das Kontroversitätsgebot oder die Gendergerechtigkeit berücksichtigt werden. Das ist viel verlangt – aber für unsere Demokratie bedeutsam.

Inwiefern?

Multiperspektivität und Kontroversität sind ganz wichtig, denn wir sind eine Gesellschaft, die ihre Diskussionskultur verliert. Da ist die Schule ein wichtiger Ort, um ein Fundament zu legen. Wer diese Prinzipien missachtet, dürfte keinen Platz in der Schule haben. Da muss der Staat besser hinschauen, da muss in der Lehramtsausbildung und in der Weiterbildung ein neuer Schwerpunkt gesetzt werden.

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