: Es geht noch länger
Der gestern vorgestellte Bandwurmname „Berlin Hauptbahnhof – Lehrter Bahnhof“ stößt bei Politikern und Verkehrsverbänden auf Unverständnis. Dabei bleibt der Rekord aus Wales unerreicht
von STEFAN ALBERTI
„Da muss man ja im Kursbuch noch eine Spalte ranfügen, damit der Name reinpasst.“ Wie SPD-Verkehrsexperte Christian Gaebler haben gestern Parlamentsfraktionen und Verkehrsverbände spöttisch oder ablehnend auf den zukünftigen Namen des neuen Bahnhofs im Regierungsviertel reagiert. „Berlin Hauptbahnhof – Lehrter Bahnhof“ soll das 700 Millionen Euro teure Großprojekt heißen, wenn es im Jahr 2006 fertig ist. Darauf einigten sich Verkehrssenator Peter Strieder (SPD) und Deutsche-Bahn-Chef Hartmut Mehdorn. Bei einer Umfrage hatte sich eine deutliche Mehrheit für den Traditionsnamen „Lehrter Bahnhof“ ausgesprochen.
Der Name wäre nach Kenntnis der Bahnpressestelle der einzige, der gleich zwei Mal das Wort „Bahnhof“ enthält. Er verbinde „die Tradition und die Funktion als zentraler Fernverkehrsbahnhof Berlin“, sagte Strieder. Der Bahnhof soll ab 2006 als größter Kreuzungsbahnhof Europas die Ost-West-Verbindung mit der Nord-Süd-Strecke koppeln.
Nach Angaben von Strieder-Sprecherin Petra Reetz hatte Mehdorn formalrechtlich das Benennungsrecht. Im niedersächsischen Lehrte an der ICE-Strecke Berlin–Hannover hatten zuvor Jugendliche fast 7.000 Unterschriften für den Erhalt des Traditionsnamens „Lehrter Bahnhof“ gesammelt, darunter auch die von Kanzler Gerhard Schröder. So votierten auch fast drei Viertel der knapp 8.000 Berliner, die sich bis vergangenen Freitag an einem Namenswettbewerb von Bahn und Senat beteiligten.
Die Reaktionen auf den gestern vorgestellten Namen reichten von „Wortungetüm“ – PDS-Abgeordnete Jutta Mattuschek – bis zu „Dümmer geht’s nimmer“ von Grünen-Parlamentarier Michael Cramer. Während sich etwa bei der Bezirksfusion der Bandwurmname „Wedding-Tiergarten-Mitte“ vermeiden ließ, würden Mehdorn und Strieder derartigen Realitätssinn vermissen lassen, sagte Cramer. Er forderte den Senat und die Bahn AG auf, den Namen zurückzuziehen und den Bahnhof „Berlin-Mitte“ zu nennen. SPD-Politiker Gaebler hält den Doppelnamen gar für schädlich: „Das trägt eher zur Verwirrung bei. Bahnhofsnamen sollten kurz und knapp sein.“
Auch der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Alexander Kaczmarek, konnte den Namen kaum ernst nehmen. „Da muss das Schild auf dem Bahnsteig aber Überlänge haben“, sagte er. Für den Alltag gibt Kaczmarek dem Doppelnamen ohnehin keine Chance: „Im Sprachgebrauch wird sich – bei allen Erinnerungen an ‚Lehrter Bahnhof‘ – ‚Hauptbahnhof‘ durchsetzen.“ Die PDS-Abgeordnete Mattuschek hält den Namen ebenfalls für nicht zuvermitteln. „Die Berliner Schnauze wird sich da schon einen Namen suchen. Dass das Kanzleramt mal ‚Waschmaschine‘ heißen würde, war ja auch nicht absehbar“, sagte sie.
Kritisch äußerten sich auch der Verkehrsclub Deutschland und der Fahrgastverband Pro Bahn. „Das ist ja schrecklich – umständlicher geht’s wohl nicht“, sagte Pro-Bahn-Landeschef Jürgen Czarnetzki. „Ein typischer Kompromiss“, kritisierte die Berliner VCD-Vorsitzende Birgit Kunze. „Wenn man eine Umfrage macht, sollte man auch das Ergebnis akzeptieren. Aber da wollte man wohl von Anfang an ‚Hauptbahnhof‘.“
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