Erwärmung der Meere: Tintenfisch und Austern
Der Klimawandel hat Nord- und Ostsee drastisch verändert. Heimischen Arten wird es zu warm, andere sind neu gekommen. Was heißt das für die Fischerei?
Grund für diese Entwicklung ist der Klimawandel. „Seit 1962 ist die Jahresmitteltemperatur der Nordsee um 1,7 Grad gestiegen“, sagt Karen Wiltshire, Vizedirektorin des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung und Leiterin der Außenstelle auf Sylt. „Wir messen, dass sich die Nordsee doppelt so schnell aufheizt wie die globalen Ozeane.“ Vermutlich ist das so, weil die Nordsee relativ flach ist und viele Flüsse in sie münden.
Die Erwärmung hat aus der Nordsee bereits ein anderes Meer gemacht: Weil die Temperaturen im Winter nicht mehr so tief sinken, überleben plötzlich Arten, die dort früher keine Chance hatten. Die Rippenqualle Mnemiopsis leidyi beispielsweise, die früher in subtropischen Atlantikgewässern heimisch war, wurde 2006 erstmals vor Helgoland gesichtet und geht seitdem nicht wieder weg. Die auch als „Meerwalnuss“ bezeichnete Qualle hat in der Nordsee keine Feinde. Und mittlerweile sind die bis zu zehn Zentimeter großen Tiere auch in der benachbarten Ostsee heimisch.
Neue Arten, andere Natur – das wird an der Pazifischen Auster Crassostrea gigas deutlich. Ursprünglich vor den Küsten Koreas und Japans zu Hause, setzten Fischer sie erstmals Mitte der 1980er Jahre vor der friesischen Nordseeinsel Sylt in Drahtkörben im Wattenmeer aus. Damals glaubten die Züchter, im kalten Wasser der Nordsee könnten die Tiere zwar wachsen, sich aber nicht fortpflanzen.
Auster ausgebüxt
Ein defekter Drahtkorb – und der Klimawandel – genügten dann aber, um das Leben im Wattenmeer komplett umzukrempeln: Die aggressive Ausbreitung der fremden Art verdrängte die einheimische Miesmuschel. Damit wurden ganze Nahrungsketten unterbrochen, denn die hier lebenden Enten oder Möwen ernähren sich von Miesmuscheln. Die dicken, sperrigen Schalen der Pazifischen Austern können sie hingegen nicht knacken. Miesmuscheln vermehren sich nur nach eisigen Wintern richtig gut, weil ihre Feinde, junge Krebse, Kälte nicht ertragen. Aber solche Winter gibt es immer seltener.
Karen Wiltshire, Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung
Einst typischen Arten wie dem Kabeljau ist es in Teilen der Nordsee längst zu warm geworden. Für seine Fortpflanzung braucht der Dorsch, wie er als Jungtier genannt wird, eine Wassertemperatur von um die drei Grad. Die findet er hier immer seltener und wandert deshalb nordwärts Richtung Polarmeer. Wurden vor 20 Jahren noch um die 8.000 Tonnen Kabeljau jährlich in deutschen Hoheitsgewässern gefischt, so waren es 2023 gerade noch 630 Tonnen.
Noch rasanter ist die Entwicklung beim Hering, einst die von der deutschen Fangflotte hauptsächlich gefischte Art: Vor 20 Jahren gingen den Fischern noch gut 35.000 Tonnen Hering in die Netze, 2023 waren es gerade noch 320 Tonnen.
Die Sardellen kommen
Statt kälteliebender Speisefische wie Makrele oder Seelachs finden die Nordseefischer zunehmend mediterrane Arten wie Sardellen oder Tintenfische in ihren Fanggeräten. In der südlichen Nordsee werden Sardinen bereits gezielt befischt. Aber die wenigen Tonnen, die diese neuen Arten bringen, können die abgewanderten Arten nicht ersetzen: Wurden in deutschen Hoheitsgewässern vor 20 Jahren noch 100.000 Tonnen Fisch gefangen, so waren es im vergangenen Jahr keine 20.000 Tonnen mehr.
In der Ostsee stirbt auch deshalb – und wegen der industriellen Überfischung vergangener Jahrzehnte – gerade eine ganze Branche: 1991 gab es in Mecklenburg-Vorpommern knapp tausend Fischer im Haupterwerb, heute sind es noch 160. Und es werden Jahr für Jahr weniger. Die Arten, die kommerziell verwertbar sind, werden immer knapper. „Das sind die Folgen des Klimawandels“, sagt Christopher Zimmermann vom Thünen-Institut für Ostseefischerei in Rostock. Beispielsweise laichen die Heringe der westlichen Ostsee wegen milder werdender Winter heute viel früher, aber im Januar und Februar finden die Heringslarven noch kein Futter und sterben. Die Bestände dieser Art sind in den vergangenen Jahren nahezu zusammengebrochen.
Verschärft werden die Folgen des Klimawandels durch Verschmutzung und die Überdüngung durch Stickstoff, den Bauern als Gülle oder Kunstdünger auf die Felder kippen: Was der Boden nicht aufnehmen kann, gelangt in die Flüsse und schließlich ins Meer. Dadurch und wegen des wärmer werdenden Wassers vermehren sich die Blaualgen im Sommer explosionsartig. Immer häufiger ist vor allem der westliche Teil der Ostsee von einem riesigen grünen Algenteppich bedeckt – mit dramatischen Folgen: Sterben die Algen, sinken sie zu Boden, wo Bakterien die Reste zersetzen. Dafür brauchen sie aber viel Sauerstoff, der dann anderen Tieren fehlt – Krebsen, Würmern, Heringen.
Todeszone Ostsee
Inzwischen gilt die Ostsee als die weltweit größte Sauerstoffmangelzone menschlichen Ursprungs, mehr als 60.000 Quadratkilometer sind tot, eine Fläche dreimal so groß wie Hessen.
Die Erderhitzung sorgt auch für den Anstieg des Meeresspiegels. Der Pegel in Cuxhaven an der deutschen Nordseeküste liegt heute bereits rund 40 Zentimeter höher als zu Beginn der Messungen 1843, an der Ostseeküste in Travemünde beträgt der Anstieg etwa 20 Zentimeter. Wird ungebremst weiter immer mehr Treibhausgas produziert, werden die Meeresspiegel nach Schätzungen des Weltklimarates IPCC bis Ende des Jahrhunderts um bis zu 1,10 Meter höher liegen. Dabei wird auch das Tempo des Anstiegs immer schneller. Im 20. Jahrhundert betrug die durchschnittliche Rate 1,5 Millimeter pro Jahr, aktuell sind es schon 3,6 Millimeter – also mehr als das Doppelte. Ende des Jahrhunderts könnten die Meeresspiegel bereits jedes Jahr 15 Millimeter höher liegen, schätzt der IPCC, und im 22. Jahrhundert dann um mehrere Zentimeter pro Jahr steigen.
Niederländische Forscher haben deshalb – als Gedankenspiel und Warnung – das Projekt „Northern Europe Enclosed“ entwickelt. Das ist ein Deich, der die Nord- und Ostsee vom Atlantik trennen soll, damit sich dessen steigender Pegel nicht auf die beiden Meere überträgt und die Anrainerländer geschützt werden. Dafür müssten 637 Kilometer Sperranlagen gebaut werden, zwischen Norwegen und Schottland sowie zwischen Frankreich und England, mindestens 50 Meter breit und 100 bis 320 Meter hoch. Auf rund 550 Milliarden Euro taxieren die Wissenschaftler die Kosten. Das allerdings ist deutlich billiger, als wenn jedes einzelne Anrainerland die Deiche an seinen Küsten erhöht.
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