Erster Radschnellweg in Berlin: Schnell ist anders
Eine Veranstaltung zum ersten Radschnellweg von Zehlendorf zum Gleisdreieck ist sehr gut besucht. Der Radweg kommt wohl frühestens 2024.
Der „Goldene Saal“ im Schöneberger Rathaus ist bis auf den letzten Platz besetzt, als Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für die Grünen) ans Mikrofon tritt und erst mal ein Missverständnis aufklärt: „Ich finde die Bezeichnung ‚Radschnellverbindung‘ eher irreführend“, sagt sie, „das klingt, als wäre das nur etwas für Sportradler. Aber alle, die hier sitzen, sind eingeladen, diese Wege zu nutzen.“ Bewusst oder unbewusst hat die Senatorin damit auch die Zusammensetzung des Publikums zurückgespiegelt – das ist, man muss es so sagen, im Schnitt ziemlich männlich und auch nicht mehr wirklich jung.
Die Senatsverkehrsverwaltung hat am Donnerstagabend zu einer „Informations- und Dialogveranstaltung“ über den Planungsstand der ersten Berliner Radschnellverbindung geladen, der sogenannten Teltowkanalroute, und das Interesse ist enorm. Auf die Frage, wer sich bislang noch gar nicht mit dem Thema befasst hat, gehen nur ein paar Hände hoch – die allermeisten Anwesenden sind FahrradaktivistInnen, -funktionärInnen oder einfach begeisterte RadlerInnen, die sich an einer der wichtigen Neuerungen des Berliner Mobilitätsgesetzes beteiligen wollen.
Das Gesetz schreibt in §45 den Bau von mindestens 100 Kilometern Radschnellwegen vor. Die sollen „durchgängig ein sicheres und attraktives Befahren auch mit hohen Reisegeschwindigkeiten“ ermöglichen. Ganze 30 Routenvorschläge, die auch von Verbänden und Privatpersonen eingereicht worden waren, hat die Verkehrsverwaltung in einem ersten Schritt geprüft, übriggeblieben sind zehn, für deren Umsetzung die neue Infravelo GmbH zuständig ist. Schon im Sommer wurde ein erstes Los zur Planung von drei Routen an das Ingenieursbüro SHP vergeben, die Auftragsvergabe für die restlichen Routen folgte im Dezember.
Die Pläne für die rund 10 Kilometer lange Verbindung, der der Teltowkanal seinen Namen gibt – auch wenn sie, aus Zehlendorf kommend, sich schon in Steglitz von dem Wasserweg trennt und über Priesterweg und Südkreuz zum Gleisdreieck führt – sind bislang am weitesten fortgeschritten. Es gibt sogar schon eine „Vorzugsvariante“ für die konkrete Streckenführung, die am Donnerstag neben Alternativverläufen präsentiert wurde. Vorgesehen ist, dass die derzeit laufende „Umsetzungsstudie“ im Sommer abgeschlossen wird. Dann folgen: die formale BürgerInnenbeteiligung, die Entwurfs- und Genehmigungsplanung, das Planfeststellungsverfahren, die Ausuführungsplanung.
Ein steiniger Weg
Mit dem Baustart der Teltowkanalroute rechnet Regine Günther irgendwann im Jahr 2022 – spätestens dann wird schon ein neuer Senat das Land regieren. Für die Bauzeit sind laut infravelo GmbH 18 Monate avisiert. Bis wir von Lichterfelde unbehelligt vom Autoverkehr bis an den Potsdamer Platz rollen können, schreiben wir also, optimistisch betrachtet, das Jahr 2024.
Dass der Weg dorthin steinig sein wird, lässt sich auf der Veranstaltung im Rathaus Schöneberg ganz gut erkennen. Zwar verzichten die TeilnehmerInnen auf generelles Verwaltungs-Bashing, wie es in anderen Dialogverfahren fast schon üblich geworden ist. Trotzdem zeigen die Gespräche, die mit Personal der Senats- und Bezirksverwaltungen sowie den PlanerInnen von SHP im Plenum und kleineren Dialoggruppen geführt werden, dass sich auch der Radteufel im Detail versteckt.
Man nehme den nördlichsten Routenabschnitt vom Südkreuz hoch zum Landwehrkanal. Da geht es schon mit dem Fernbahnhof los: Der steht monolithisch im Weg herum, weil vor zwanzig Jahren niemand im Traum an einen künftigen Radschnellweg gedacht hat. Schon jetzt fluchen viele auf ihrem täglichen (Rad-)Weg, wenn sie einen großen Schlenker um das DB-Gelände machen müssen, seit die Bahn Anfang 2018 den Durchgang durch ihre Gebäude sperrte. Diese inoffizielle Passage, das Bindeglied zwischen den schon recht gut ausgestatteten Radwegen durch den Hans-Baluschek-Park am Südgelände sowie entlang der Bahntrasse bis zur Monumentenbrücke war jahrelang geduldet worden, dann hieß es plötzlich: No way – der Durchgang sei schon immer „nur zur betrieblichen Nutzung“ vorgesehen gewesen.
Ein schwieriger Verhandlungspartner
Im Rathaus Schöneberg steht an der „Dialoginsel“ zu diesem Routenabschnitt Thomas Richter von SHP Ingenieure und muss einräumen, dass man das Gespräch mit dem DB-Konzern über diesen Knackpunkt noch gar nicht geführt habe. Trotzdem ist die schon jetzt einzig mögliche Umrundung über die stark befahrene Wilhelm-Kabus-Straße bereits als Teil der „Vorzugsroute“ markiert. Das könnte daran liegen, dass die Bahn ein schwieriger und überaus mächtiger Verhandlungspartner ist, von dem Eingeweihte in diesem Fall keinerlei Entgegenkommen erwarten. Auch die vor ein paar Jahren von ambitionierten Verkehrsplanern ins Gespräch gebrachte Führung des Radschnellwegs durch den Bahnhof, in Form einer über die Gleise gehängten Galerie, dürfte bei dem Schienengiganten auf wenig Gegenliebe stoßen
Oder die Frage nach der Weiterführung der Route durch den Gleisdreieckpark bzw. daran vorbei. „Ich bin da regelmäßig unterwegs“, sagt ein Teilnehmer. „Einen Radschnellweg durch die ganzen Spaziergänger, die spielenden Kinder und Inlineskater zu führen – das geht einfach gar nicht.“ Aber kann man vielleicht einen separaten Weg anlegen? Unklar. Schon weil den PlanerInnen mal wieder die Bahn in die Quere kommt, wie Thomas Richter erklärt: Die künftige S21 werde irgendwann auch noch über das Gelände geführt werden müssen, wie genau, könne heute niemand sagen.
Der Konflikt zwischen RadfahrerInnen und Erholungssuchenden in den Grünanlagen wird sich an vielen Stellen wiederholen, so auch im Hans-Baluschek-Park und am Ufer des Teltowkanals selbst. Beate Mücke, Sprecherin des Netzwerks Fahrradfreundliches Tempelhof-Schöneberg, hat in den Dialoggruppen erstaunlich viele Bedenkenträger dazu gehört. Sie kann das nicht wirklich nachvollziehen: „Das sind doch überschaubare Interessengegensätze. Wenn etwa morgens der Fahrrad-Berufsverkehr durch den Flaschenhals- und Gleisdreieckpark rollt, sind kaum andere Leute unterwegs“, führt sie als Beispiel an.
Große Irritation entsteht, als klar wird, dass RadlerInnen wohl auch auf Teilen der künftigen Radschnellwege Autos begegnen werden. Das Gesetz kann da auch leicht missverstanden werden, wenn es formuliert, die Schnellwege seien „auf eigenständigen Sonderwegen, in Fahrradstraßen oder vom motorisierten Verkehr getrennt in Straßen zu führen“. Der Punkt sind die Fahrradstraßen: Hier dürfen AnliegerInnen ihre Pkws hin- und herbewegen, hier kann auch Lieferverkehr die freie Fahrt erschweren. Auf der Teltowkanalroute wird das wohl im Steglitzer Abschnitt zwischen Albrechtstraße und Insulaner der Fall sein. So hatten sich viele das eigentlich nicht vorgestellt.
Aber die Veranstaltung soll ja auch dazu dienen, Wünsche und Bedürfnisse der künftigen NutzerInnen einzufangen. Dass das auch mal schnell ins Utopische abgleiten kann, merkt Ingenieur Richter, der unvorsichtigerweise zu Beginn der Diskussion angedeutet hat, es gebe bislang erfreulicherweise keine Begrenzung des Budgets. Am Ende weiß er, dass das vielleicht ein bisschen voreilig war: „Es kamen Vorschläge, einfach alle Konfliktstellen weiträumig zu untertunneln.“
Ein Protokoll des Abends wird demnächst auf der Seite der Senatsverwaltung für Verkehr einzusehen sein
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