Erste Cannabis-Shops in Deutschland: Kiffen für die Wissenschaft
Hannover und Frankfurt am Main wagen den Verkauf von Cannabis in speziellen Shops. Wer kauft, muss sich von Wissenschaftler*innen befragen lassen.
„Uns geht es um die Anerkennung gesellschaftlicher Realitäten“, sagte Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) bei der Vorstellung des Projekts vergangene Woche. Die Zahl der Konsumierenden steige, Verbote brächten nichts, steigende Werte der psychoaktiven Substanz Tetrahydrocannabinol (THC) und Verunreinigungen seien gefährlich. Der illegale Markt solle zurückgedrängt werden, die Stadt erhoffe sich von dem Projekt auch einen verbesserten Jugendschutz.
Begleitet wird das auf fünf Jahre angelegte Projekt von einer Studie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Die rund 4.000 Teilnehmenden müssen sich regelmäßig von den Wissenschaftler*innen befragen lassen – und sich aktiv beteiligen. Dazu ist eine Vergleichsstudie mit Mitgliedern des Cannabis Social Club Hannover geplant. In Frankfurt wird das Projekt von der Frankfurt University of Applied Sciences begleitet.
Wer in Hannover teilnehmen will, erhält einen pseudonymisierten Ausweis. Niemand weiß also, wer sich gerade Purple Haze kauft. Mit Hilfe des Ausweises und eines QR-Codes auf den Verpackungen könne aber zweifelsfrei festgestellt werden, in welcher Abgabestelle welche Menge Cannabis im laufenden Monat gekauft wurde, so die Universität. Wer die Produkte an Dritte weitergibt, wird von der Studie ausgeschlossen. So soll Konsumtourismus verhindert werden.
Ausbau der Präventionsangebote
Um beraten zu können, soll das Personal der Verkaufsstellen entsprechend geschult werden. Bei auffälligem und riskantem Konsumverhalten soll es eingreifen und Betroffene niedrigschwellig aktiv ansprechen, bevor eine Abhängigkeit entsteht. Zudem ermöglicht die zentral verwendete Software, mit der unter anderem die Konsummenge dokumentiert wird, auch eine individuelle Auswertung des Konsummusters. Workshops zu „Safer-Use und Konsumkompetenz“ sind ebenfalls geplant. Die bestehenden Beratungs- und Präventionsangebote sollen darüber hinaus weiter ausgebaut werden, mit besonderem Fokus auf Kinder, Jugendliche und jungen Erwachsene.
Hannovers Sozialdezernentin Sylvia Bruns (FDP) betont, dass es bei dem Projekt zunächst vor allem um wissenschaftliche Erkenntnisse gehe. Sie gäben Aufschluss über die Auswirkungen eines legalen Verkaufs auf die Konsumhäufigkeit, auf Veränderungen bei der Auswahl des THC-Gehalts oder einen Wechsel auf Produkte mit geringerer Gesundheitsschädigung. „Wir wollen uns damit von Vermutungen und ideologischen Debatten entfernen“, so Bruns.
„Die Daten aus dieser Studie könnten künftig eine wichtige Grundlage für die Gestaltung einer zukunftsorientierten Drogenpolitik bilden“, sagt Professorin Kirsten Müller-Vahl von der MHH, die die Studie als geschäftsführende Oberärztin der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie verantwortet. Es ließe sich so feststellen, ob der Gesundheits- und Jugendschutz gestärkt, Konsumrisiken verringert und der illegale Markt zurückgedrängt werden können, so Müller-Vahl. Langfristig könnten so sichere Rahmenbedingungen für Konsumierende geschaffen und öffentliche Gesundheitsressourcen effektiver genutzt werden.
Umgesetzt werden soll das hannoversche Modellprojekt gemeinsam mit dem Berliner Unternehmen Sanity Group. Das führt seit 2023 bereits den größten Cannabis-Versuch in der Schweiz durch und betreibt im Kanton Basel-Landschaft zwei Verkaufsstellen. Es ist das erste Projekt in der Schweiz, in dem Cannabis in speziellen Shops verkauft wird.
Sauberes Cannabis ohne verbotene Pestizide
Kürzlich haben die Berliner*innen in 30 deutschen Städten Stichproben zu Cannabis auf dem Schwarzmarkt erhoben, darunter auch in Hannover. „Die Ergebnisse dieser Analysen untermauern deutlich, wie dringend der politische Handlungsbedarf wirklich ist“, sagt Projektleiter Leonard Friedrich, der in Hannover für das Verkaufsstellenkonzept verantwortlich ist. In Proben seien dort beispielsweise Spuren von in der EU verbotenen Pestiziden sowie von Kokain gefunden worden. Solche Modellprojekte seien „ein enorm wichtiger Schritt hin zu einem legalen Zugang zu sauberen, sicheren Produkten“.
Regionale Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten sind als zweite Säule des Cannabisgesetzes vorgesehen. Ein vergleichbares Projekt gibt es in Deutschland bislang nur in Wiesbaden. Dort hat sich die Stadt für ein Modell zur Abgabe in 10 bis 15 ausgewählten Apotheken beworben. Auch dieses Projekt soll 2025 starten, das Interesse ist groß. Über die Bewilligung der Anträge muss noch das Bundesamt für Ernährung und Landwirtschaft entscheiden.
Wiesbaden will sich dafür dem bundesweiten Forschungsprojekt des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung Hamburg (ZIS) in Kooperation mit dem Verein „Cannabis Forschung Deutschland“ anschließen. Bundesweit wollen sich 25 Städte beteiligen. Dabei soll die regionale Abgabe von Cannabis in Fachgeschäften oder Apotheken erprobt und die Auswirkungen auf die Konsument*innenzahl, Konsummengen sowie unerwünschte Nebeneffekte wie Suchterkrankungen und Kriminalität untersucht werden.
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