piwik no script img

„Erobique“ über Filmmusik„Ein Soundtrack braucht nicht so viel“

Carsten „Erobique“ Meyer mag popkulturelle Schätze und Understatement als Haltung. Für den „Tatortreiniger“ hat er einen Meta-Soundtrack erschaffen.

Carsten „Erobique“ Meyer in seiner natürlichen Umgebung: auf der Bühne eines Festivals Foto: imago/Future Image
Julian Weber
Interview von Julian Weber

taz: Herr Meyer, die Komposition eines Soundtracks ist eine Dienstleistung. Es gilt, Musik zu kreieren, die die Handlung untermalt, diese kommentiert oder aufnimmt. Die Musik, die Sie für die jetzt zu Ende gehende TV-Serie „Der Tatortreiniger“ geschaffen haben, ist uplifting. Es ist eine drastische Handlung, und die Musik arbeitet manchmal dagegen an.

Carsten „Erobique“ Meyer: Es geht darum, dass jemand einen undankbaren Job macht. Niemand möchte Leichen vom Boden kratzen, die düstere Atmosphäre wird nur angedeutet. Eigentlich geht es mehr darum, dass der Tatortreiniger Schotty bei der Arbeit Leuten begegnet und der Kommunikation ausgesetzt ist. Das Tolle an ihm ist seine Bereitschaft, mit jedem zu reden. Dadurch wird die Handlung upliftend, weil sie darstellt, was passiert, wenn wir uns im Alltag offen zeigen gegenüber anderen, wenn wir ins Gespräch kommen, außerhalb der Blase.

Und die Musik?

Upliftende Musik verfolgt durchaus einen Zweck, sie soll uns gut drauf bringen. Ich persönlich höre upliftende Musik auch, wenn es mir nicht so gut geht. Dann, wenn ich einen kleinen Schub gebrauchen kann.

Sie haben einen Meta-Soundtrack erschaffen, der andere Soundtracks, Klangatmosphären und Popsongs zitiert. Von Italowestern über Barockpop bis Soul. Sie verneigen sich etwa vor dem Soulsänger Leroy Hutson. Man hört, dass Sie die Instrumentals von Barry White kennen. Ihre Musik funktioniert auch jenseits ihrer Eigenschaft als Soundtrack.

Soul ist Teil meiner DNA. Ich liebe die Songs von Leroy Hutson und Barry White und höre sie fleißig, aber ich sitze nicht da und überlege, wie ich sie zitieren kann. Es geht mir nicht darum, Töne zu kopieren oder andere Arbeitsweisen aufzugreifen, ich probiere einfach gerne aus. Für „Der Tatortreiniger“ habe ich oft ins Blaue hinein komponiert. So wie bei Library Music gibt es bei mir einen Fundus an Melodien und Songs, aus dem Regisseur Arne Feldhusen und der Cutter Benjamin Ikes geschöpft haben.

Wenn ich mir Soundtracks von dem französischen Komponisten François de Roubaix für Meeresdokumentationen anhöre, habe ich das Gefühl, er macht keine Filmmusik, sondern forscht selbst nach Tonfolgen, gräbt in tiefen Klangschichten. So wie Jacques Cousteau die Unterwasserwelt erkundet, erkundet auch de Roubaix die Welt der Melodien, der Gerätschaften.

Gut erkannt, de Roubaix ist eine Inspiration. Das, was ich von Komponisten wie ihm mitgenommen habe, ist die Klangforschung. Es ist der Teil meiner Arbeit, der am meisten Spaß macht: Was passiert eigentlich, wenn ich ein Lineal am Tisch anschlage. Das als Musik erfahrbar zu machen, wanderte nachher auch in den Soundtrack rein.

Im Interview: Carsten „Erobique“ Meyer

geboren 1972 im Münsterland, lebt und arbeitet in Hamburg. Seit 1997 als Erobique solo unterwegs, hat er 2002 und 2006 zwei Alben mit International Pony aufgenommen, 2009 zusammen mit Jacques Palminger „Songs for Joy“ eingespielt und Musik für Filme und Serien komponiert. Das Album „Tatorteiniger Soundtracks“ (a sexy/Broken Silence) ist die Zusammenstellung seiner Soundtracks für die gleichnamige TV-Serie, in der seine Musik in allen 31 Teilen zu hören war.

Live: 18. 1. „KUZ“ Mainz, 7. 2. „Conne Island“ Leipzig, 6. 3. „Schauspielhaus“ Hamburg,11. 3. „Gloria“ Köln, 14. 3. „Volksbühne“ Berlin

Für den Soundtrack zu „Wonderwall Music“ reiste George Harrison nach Mumbai, sah sich den Film auf der Leinwand an und fertigte ein Sequenz-Protokoll. Waren Sie am Set von „Tatortreiniger“ anwesend?

Nein, ich habe die Drehbücher gelesen. Es gab eine Phase, in der ich Musik komponiert habe, davor habe ich mich aber wieder aus der Handlung verabschiedet und einfach drauflos geschrieben. Oft funktioniert bei mir, wenn ich mit Fundstücken arbeite. Ich konnte etwa eine Hammond-Orgel von Freunden ausprobieren. Habe mein Aufnahmegerät mitgenommen. Da war eine Taste kaputt und die Repeat-Funktion klang seltsam, ratacktacktack … das floss ein. Ein Soundtrack braucht gar nicht so viel. Zu Zeiten von George Harrisons „Wonderwall Music“ in den späten Sechzigern haben die Komponisten mit Stoppuhr dagesessen und die Tonspur nachgemessen. Das bleibt mir heute erspart. Ich kann in mein Musikprogramm den Film reinlegen und die Musik sehr genau setzen und drunter editieren.

Das „Tatortreiniger“-Titelthema triggert den Italo-Western-Desperado-Sound an. Was braucht eine Titelmelodie, damit sie wiedererkennbar wird?

Beim ersten Schauen ist die Titelmelodie noch gar nicht da. Ab der dritten Folge entwickelt sie ein Eigenleben und wird mehr zu einem Weckruf. Meine Titelmelodie für „Der Tatortreiniger“ kam schnell zustande. Sie ist nicht elaboriert, hat sich aber als dankbar erwiesen. Es ist ein Titelthema aus wenigen Tönen, das sofort wiedererkennbar klingt. Wichtig war, dass ich es mit verschiedenen Musikstilen und in verschiedene Tonarten umsetzen kann. Es ist ein robustes Titelthema, ich kann damit spielen und es in andere Kontexte setzen.

Ihre Filmmusik ist auch Reminiszenz an die glorreiche Pop-Vergangenheit. Northern-Soul-Songs mit Mundharmonika klingen an. Oder die gepfiffene Melodie, ein klassisches Stilmittel von Spaghettiwestern-Soundtracks. Was zieht Sie in diese Vergangenheit? Hat sie etwas, was in der Gegenwart nicht zu bekommen ist?

Ich sammle popkulturelle Schätze. Wenn ich ins Studio gehe, stehen da nicht nur alte Orgeln und ein Schlagzeug, sondern auch Schallplatten. An der Wand hängen Bilder, die ich auf Flohmärkten gefunden habe. Das Bücherregal ist voll mit Werken zu den abseitigsten Popfiguren. Durch diese Materialfülle löst sich dann das Referenzmoment auf und wird zur amorphen Masse. Ich war in der Jugend Mod, das Geschmackvolle bedeutet mir noch was. Bestimmte analoge Aufnahmetechniken sind mir wichtig. Lieber eine Flöte spielen, als eine Midi-Flöte zu benutzen. Es geht ja immer darum, was geschieht, wenn ein Ton physisch erzeugt und durch ein Mikrofon aufgenommen wird. Das gefällt mir besser, als wenn er am Bildschirm berechnet wird.

Ihr eigenes Label a sexy Records funktioniert ohne Promotion. Da erscheint auch Ihr Soundtrack und Singles und Alben unter Pseudonym. Was ist das für ein Kosmos?

A sexy ist entstanden, weil ich ein Outlet brauchte für die Werke meiner Kunstfigur Babyman. Je weniger Wind ich darum mache, desto besser. Ich habe mich schon geärgert, als auf einmal eine Diskografie aufgetaucht ist und die Personen hinter den Aliasen gelüftet wurden. Ich fand das Geheimnis als Modus Operandi immer praktikabel.

Anfang der Nullerjahre waren Sie Teil von International Pony, zusammen mit DJ Koze und Cosmic DJ, damals beim Majorlabel Sony. Heute arbeiten Sie wieder selbstbestimmt. Warum?

Wir waren zwar auf einem Majorlabel, aber Mainstream war International Pony eher nicht. Ein positiver Effekt der Digitalisierung ist es, dass sich die Strukturen des Musikvertriebs gewandelt haben. Heute lässt es sich leichter unabhängig agieren. DJ Koze macht das super mit seinem Label Pampa. Auch mir ermöglicht mein Label, die Zügel selbst in der Hand zu behalten. Das ist viel angenehmer als der Vermarktungszyklus bei einem Majorlabel, der uns ausgesaugt hat. Ich bin froh, dass ich unabhängig sein kann. Ich spiele Musik, absolviere meine Auftritte. Fertig.

Ein Popstar braucht Charisma, aber gute Songs und gute Soundtracks sind nie unnötig aufdringlich. Nicht ohne Grund ist Ihr Soundtrack instrumental geblieben. Ihre Musik für „Der Tatorteiniger“ klingt dezent.

Es gibt absolut keinen Grund, Musik größer aufzublasen als nötig wäre, für das, was sie sein soll: die musikalische Unterstützung einer TV-Serie.

Meine Titelmelodie für ‚Der Tatortreiniger‘ ist nicht elaboriert, hat sich aber als dankbar erwiesen

Erobique

Die Serie ist erkennbar in Norddeutschland angesiedelt, in einer großen Stadt. Der Protagonist spricht mit nordischem Zungenschlag. Was macht für Sie als Zugezogener dieses Wesen aus?

Es ist zwar ein Klischee, dass man sich die Herzlichkeit im Norden erarbeiten muss, aber da ist schon was dran. Wenn man mit den Leuten per du ist, dann ist dieser breite Hamburger Slang auf einmal ganz warm, trotz aller Ruppigkeit. Das Ruppige und das Protestantische tut einem alten westfälischen Katholiken wie mir ganz gut. Sie haben ja gesagt, dass mein Soundtrack dezent klingt, daher glaube ich, dass dieses Norddeutsche genauso hörbar ist. Aber kuck mal hier, die goldenen Knöpfe, wie dezent sind die denn?

Die erinnern mich an Wim Thoelke, Ihre Jackettknöpfe. Da kommt die bundesdeutsche TV-Vergangenheit wieder zum Vorschein.

Ja stimmt, das ist ein klassischer BRD-Look. Understatement ist eine Sache, die ganz okay ist, im Hanseatischen.

Definieren Sie bitte Understatement:

Understatement ist die Hoffnung, dass die eigenen Fähigkeiten erkannt werden, ohne dass man sich mit Reklame zuhängen muss. Was soll ich denn ein buntes Sweatshirt tragen, wo irgendwas draufsteht. Ein Pullover in Beige reicht aus.

Eine besondere Understatement-Melodie ist Ihnen für die Folge „Amtsschimmel“ gelungen. Ein sehr deutsches Wort: Amtsschimmel. Aber Sie garnieren diese Melodie mit Blue ­Notes.

Auf das filigrane Stück „Amtsschimmel“ bin ich richtig stolz. Da habe ich dem Jacques-Tati-artigen Ambiente beim Gang durch die Instanzen sinnhafte Musik hinzugefügt. Natürlich kommen da Blue Notes drin vor, das geht irgendwann auf und ist ja auch der Reiz an der Geschichte. Ich lasse das in ein Henry-Mancini-Motiv aus seinem Soundtrack für „Inspektor Clouseau“ münden. Eine Hommage. Ich habe eigentlich nur meine musikalische Intuition genutzt, um sie dann einer Szene unterzuordnen. Das war befreiend.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!