: Ernst bei der Arbeit
Ganz unten auf dem Boden der Tatsachen von Familienalltag und Kunstproduktion: Die Galerie Barbara Thumm zeigt neue Arbeiten des Künstlerpaars (e.) Twin Gabriel
Else Gabriel und Ulf Wrede alias (e.) Twin Gabriel erweitern ihre kooperative und partnerschaftliche Produktionsweise ins Familiäre. Dem ersten Nachwuchs ging vor Jahren die fotografische Inszenierung der hochschwangeren Else als clowneskes Muttermonster voraus. An die Figuren des Velázquez und sein Porträt der Infantinnen erinnert die Inszenierung, mit der das Künstlerpaar sich und seine zwei Kinder jetzt in der Galerie Barbara Thumm vorzeigt.
Das Private gehört hier ganz konkret zu den Bedingungen der Produktion. Else stellt sich einmal im grünen Lederkleid, mit der ebenso gewandeten Tochter an der Hand dar, die so zu einer Miniaturausgabe ihrer selbst wird, und einmal als Vater mit Bart, Mantel und einem ähnlich gekleideten Sohn. Ein Rollenspiel mit biografischen Anspielungen, denn das grüne Kleid ist einem anderen nachgebildet, das Else in einem Theaterfundus entwendet hatte, um 1989, kurz vor der Maueröffnung, Max Goldt zu ehelichen und so in den Westen zu gelangen.
Das Familiäre bleibt nicht nur Thema, sondern wird auch zum produktiven Modell der Vermehrung der Kunst. Mit Beharrlichkeit macht sich Else zur Mutter der Ausstellung, die als Work in progress intensive Betreuung verlangt. Bis zur Finissage plottet sie aus schwarzem Vinyl immer wieder den Beginn des X-Chromosoms, dargestellt mit einem Buchstabencode, und überwuchert damit den Galerieraum. Einige dieser Erzeugnisse landen als amorphe Haufen auf dem Boden, man mag an noch undefinierte Zellanhäufungen denken.
Zwischen der musealen Bilderecke der Galerie und dem Werkraum mit provisorischen Tischaufbauten, Computern und anderem Zubehör tritt die akustische Botschaft eines unartikulierten Greinens und Lachens – Kleinkinder ohne Zweifel. Ein Video, unter einem Tisch versteckt, verweist auf die Kinder, aber so verfremdet, dass eine emotionale Reaktion der Identifikation oder des Abscheus verstellt ist.
Die Personen werden zu Typen, ihre Geschichte gerät zu einem immer neu produzierten Nukleus in der Kette der Generationen. Die gentechnische Reproduktion ist in Kunst und Politik ein heißes Thema. Nicht umsonst lautet das Motto des aktuellen Kunstforums: „Transgene Kunst – Klone und Mutanten“.
(e.) Twin Gabriel schrauben sich nicht endlos in die Raffinesse der wissenschaftlichen Hybris hinein und produzieren auch keinen futuristischen Kitsch. Mit altmodischen Mitteln und bewusst einfältig lassen sie Deutungsspielraum in ihrer Inszenierung und bleiben auf dem Boden der Tatsachen von Familienalltag und Kunstproduktion. Ihre Ausstellung ist lakonischer als sonst, ohne ihren typischen Humor getränkt. Familie ist eben eine ernste Angelegenheit.
KATJA REISSNER
Bis 23. 3., Di.–Fr., 13–19 Uhr, Sa 13–18 Uhr, Galerie Barbara Thumm, Dircksenstr. 41, Mitte
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