Erneuerbare Energien: Da lacht die Sonne
Nach dem AKW-Abschalten: Wind, Sonne, Wasser, Biomasse - die erneuerbaren Energien tragen ab sofort mehr zum Strommix bei als Atomkraftwerke.
BERLIN taz | Die erneuerbaren Energien in Deutschland überwiegen ab sofort. Mit dem dreimonatigen Moratorium der Bundesregierung für die Atomkraftwerke reduziert sich die nukleare Stromerzeugung hierzulande so weit, dass Sonne, Wasserkraft, Windenergie und Biomasse das Übergewicht gewinnen.
Die Bundesregierung hatte diese Woche beschlossen, 8 der bestehenden 17 Reaktoren für drei Monate vom Netz zu nehmen, um die Sicherheit der Anlagen zu überprüfen. Die noch verfügbaren 9 Meiler machen jetzt noch 59 Prozent der eigentlich installierten nuklearen Kraftwerksleistung aus.
Damit vollzieht sich ein symbolträchtiger Wandel: Alle nun noch laufenden Reaktoren haben im vergangenen Jahr zusammen 98 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt. Die erneuerbaren Energien hingegen trugen im Jahr 2010 gut 102 Milliarden Kilowattstunden zum Strommix bei.
Geht man davon aus, dass die verbleibenden Meiler in den kommenden Monaten ähnlich viel Strom produzieren werden und auch die Ökostromerzeugung stabil bleibt, dann wird im nächsten Quartal die Atomkraft erstmals seit ihren Anfangstagen 1975 hinter die regenerativen Energien (worunter damals ausschließlich die Wasserkraft verstanden wurde) zurückfallen.
Auch ohne die aktuellen Abschaltungen war seit Jahren absehbar, dass die erneuerbaren Energien die Atomkraft spätestens Mitte dieses Jahrzehnts in der Jahressumme übertreffen werden. Im vergangenen Jahr lag der Anteil des Ökostroms an der deutschen Stromerzeugung mit 16,5 Prozent gar nicht mehr so weit hinter der Atomkraft, die 22,4 Prozent beitrug.
Stundenweise hat die Windkraft die Atomkraft in jüngster Zeit schon häufig in den Schatten gestellt. Mit inzwischen gut 27.000 Megawatt überschreiten die Rotoren die Kapazität der 17 deutschen Atommeiler von 21.500 Megawatt bereits deutlich.
Durch das Moratorium wurde die verfügbare Leistung der deutschen Atommeiler auf knapp 12.700 Megawatt gesenkt. Stundenweise wird daher in den kommenden Wochen auch die Photovoltaik allein (rund 17.000 Megawatt installierte Kapazität) bereits die Atomstromerzeugung übertreffen.
In einer aktuellen Analyse des Strommarktes kommen der Umweltverband WWF und das Öko-Institut zu dem Ergebnis, dass "ein zügiger Ausstieg aus der Atomkraft Chancen für Fortschritte im Klimaschutz bietet, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden oder die Portemonnaies der Bürger übermäßig zu strapazieren".
Der vollständige Ausstieg sei in Deutschland bis 2020 möglich. "Zehn Kernkraftwerke können sofort abgeschaltet werden, vier Kraftwerke bis 2013 und die verbliebenen drei Kernkraftwerke im zweiten Drittel der Dekade", sagt Felix Christian Matthes, Wissenschaftler am Öko-Institut.
Dass auch die Händler am Strommarkt für das nächste Quartal trotz deutlich reduzierter Atomkraft keine Stromlücke sehen, belegen die Preisentwicklungen an der Strombörse EEX. Der Preis einer Kilowattstunde zur Lieferung im zweiten Quartal 2011 stieg zwar durch das Moratorium um rund 1 Cent je Kilowattstunde.
Doch im Vergleich zu den Schwankungen, die durch konjunkturelle Entwicklungen und durch variable Rohstoffpreise ausgelöst werden, fällt der jüngste Anstieg wenig ins Gewicht: Im Zuge der Wirtschaftskrise war der Großhandelspreis zwischen Sommer 2008 und Frühjahr 2009 um satte 4 Cent je Kilowattstunde gefallen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Scholz fordert mehr Kompetenzen für Behörden