Ermittlungen online: Wo virtuelle V-Männer schnüffeln
Facebook gehört zum Alltag von Millionen Deutschen – und wird damit für Polizeibehörden interessant. Auch das BKA setzt virtuelle Ermittler ein.
Wer-kennt-wen, StudiVZ und Facebook gehören längst zum Alltag von Millionen Deutschen – und somit auch zum Ermittlungsalltag der Polizeibehörden. Auch das BKA setzt virtuelle Ermittler ein, wie eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke im Bundestag ergeben hat.
"Virtuelle verdeckte Ermittler haben in Sozialen Netzwerken nichts verloren. Ihr Einsatz verstößt gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung", erklärt die innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke Ulla Jelpke zur Antwort der Bundesregierung. Darin hatte die Bundesregierung sechs Einsätze von virtuellen Ermittlern zugegeben.
Großen Stellenwert will die Bundesregierung den neuen Ermittlungsinstrumenten in Sozialen Netzwerken aber nicht zugestehen. Die Bundesbehörden griffen "fallbezogen" auf Informationen in sozialen Netzwerken zu. Eine systematische anlassunabhängige Recherche in sozialen Netzwerken finde nicht statt, heißt es in der offiziellen Antwort. Solange es bei oberflächlichen Kontakten im Netz bleibe, könnten Polizisten problemlos unter falscher Identität in den Netzwerken tätig werden.
"Keinen Eingriff in die Grundrechte stellt es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts regelmäßig dar, wenn Beamte des BKA unter einer Legende an offener Kommunikation in sozialen Netzwerken teilnehmen, solange der Betroffene nicht schutzwürdig in die Identität des Kommunikationspartner ist." Wie oft das geschieht, wird nicht erfasst. Die Bundesregierung wandelt damit eine alte Online-Weisheit ab: "Im Internet weiß niemand, dass Du ein Hund bist." Oder eben ein Polizist.
"Virtuelle Verdeckte Ermittler"
Doch es gibt auch Fälle, in denen Polizisten die Grenze zur vertraulichen Kommunikation überschreiten. In den vergangenen zwei Jahren seien insgesamt sechs Mal "Virtuelle Verdeckte Ermittler" eingesetzt worden, heißt es in der Antwort der Bundesregierung. Betroffen davon seien Ermittlungen im Bereich des Paragraphen 110a der Strafprozessordnung, also: Straftaten von "erheblicher Bedeutung": Bandenkriminalität, organisierter Drogenhandel, Vergehen gegen den Staatsschutz.
Weitere Details möchte das BKA nicht öffentlich machen. "Die Veröffentlichung dieser internen Vorgänge würde die Offenlegung sensibler polizeilicher Vorgehensweisen und Taktiken bedeuten." Nur Abgeordnete dürfen in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages nachlesen, mit welchen Methoden Polizisten online den Kontakt zu Kriminellen suchen.
"Ob die Ermittler jemals zu Straftaten aufgerufen oder Texte mit strafbarem Inhalt verfasst oder Dateien mit strafbarem Inhalt weitergegeben haben, kann die Bundesregierung offenbar nicht mit Sicherheit ausschließen", kommentiert Jelpke. Der Einsatz der virtuellen V-Männer verstößt nach Auffassung von Jelpke gegen das so genannte IT-Grundrecht: "Der verdeckte Einsatz von Ermittlern verletzt das Grundrecht der Bürgerinnen und Bürger auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, das das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zu Online-Durchsuchungen konstatiert hatte. Wer Informationen über sich selbst in einem sozialen Netzwerk offenlegt, muss darauf vertrauen können, dass der Staat nicht mitliest."
"AG KaRIN"
Die niedrige Zahl der bekanntgegebenen virtuellen V-Mann-Einsätze liegt auch darin begründet, dass die Polizei Ländersache ist – der Großteil der Ermittlungen in Online-Netzwerken findet also außerhalb des Zuständigkeit der Bundesregierung statt. Dass die Landesbehörden aber auch an virtuellen Ermittlungen interessiert sind, zeigt die Einrichtung einer Arbeitsgruppe namens "AG KaRIN", an der BKA, Zollkriminalamt und sieben Landeskriminalämter regelmäßig neue Erkenntnisse zu Sozialen Netzwerken austauschen.
Die Bundesregierung möchte die Ermittlungen in den Netzwerken offenbar niedrig hängen. "Es ist kein Fall bekannt, in dem ausschließlich die Ermittlungen in diesen Netzwerken für die Aufklärung maßgeblich waren", heißt es in der Erklärung der Bundesregierung. Bedarf für neue gesetzliche Regelungen gebe es nicht. Um den Einsatz der virtuellen V-Männer zu regeln, genügten die allgemeinen Vorschriften, die auch für Ermittlungen in anderen Bereichen gälten.
Ein übergreifendes Data-Mining, mit dem die Aktivitäten von Tausenden von Nutzerprofilen systematisch ausgewertet werden, um beispielsweise Gruppenzugehörigkeiten und Bewegungsprofile zu ermitteln, fände zumindest bei BKA und Bundespolizei nicht statt. Wie es bei Geheimdiensten aussieht, verrät die Bundesregierung nicht: "Die Nachrichtendienste sind hingegen keine Ermittlungsbehörden. Mit Ermittlungen sind daher weder Mitarbeiter betraut, noch bestehen diesbezüglich Kooperationen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Klimaschützer zu Wahlprogrammen
CDU/CSU und SPD fallen durch, Grüne punkten nur wenig
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge