Erkenntnisse über Medienkonsum: Mythos Filterblase
Vorsicht, festhalten, eine neue Untersuchung zeigt: Online-Netzwerke sind vielleicht doch nicht schuld an Donald Trump.
D as Böse im Internet hat ja seit einigen Jahren einen Namen: Filterblase. Filterblase, das erinnert an Zensur, Zigaretten, schlechten Kaffee, an schmerzende Füße. Filterblasen sind verantwortlich für den Brexit, für Donald Trump und dafür, dass Frauen überall Sexismus wittern. Ohne die Filterblase wäre das Internet jene Utopie, die sich die Macherinnen und Macher einst erträumt haben: ein sozialistisches Schlaraffenland, alle gleichberechtigt, alles gratis.
Das dachte ich zumindest. Auch ich habe gern und viel gegen die Filterblase angeschrieben. Ich beschuldigte die sozialen Medien, allen voran Facebook, die Menschen immer mehr zu polarisieren. Wir umgeben uns nur noch mit übereinstimmenden Meinungen, dachte ich. Doch die Spitzen meiner Formulierungen haben die Filterblase nicht zum Platzen gebracht. Was vermutlich daran lag, dass ich, wie so viele, bei der Sache zur Schwarz-Weiß-Malerei neige.
Aufklärung verschafft jetzt ein Artikel von Richard Fletcher, Forscher am Reuters-Institut für Journalismusforschung, das an der Universität Oxford beheimatet ist. Fletcher war es offenbar ein Anliegen, mit ein paar Allgemeinplätzen zur „Filterblase“ aufzuräumen.
Wichtig ist ihm zunächst etwas Grundsätzliches: Filterblase sei nicht dasselbe wie Echokammer. Echokammer klingt ja mindestens so schlimm wie Filterblase, erinnert an unheimliche Schluchten, an Gefängnis. Auch deshalb werden die beiden gerne synonym verwendet – auch von mir. Aber: Filterblasen können Echokammern verursachen, sind aber nicht dasselbe. Filterblase heißt, dass Inhalte, die wir (nach Einschätzung des Algorithmus) nicht mögen, entfernt werden. Echokammern hingegen sind Räume, in denen einseitige Weltsichten verstärkt werden. Cliquen oder Stammtische können auch Echokammern sein.
Alles halb so schlimm
Weil Facebook, Instagram und teils auch Twitter Inhalte vorsortieren, wird ihnen oft vorgeworfen, dass sie uns in Filterblasen einsperren. Fletcher allerdings weiß aus quantitativen Untersuchungen: Soziale Medien verursachen gar keine Filterblasen. Im Gegenteil, sie bringen Menschen, die sich sonst wenig über die Weltgeschehnisse informieren, dazu, mehr Nachrichten zu konsumieren, dazu von durchaus unterschiedlichen Quellen. Jedenfalls mehr als bei Menschen, die nicht in sozialen Medien unterwegs sind. Besonders stark sei dieser Effekt bei jungen Menschen.
Also alles halb so schlimm oder vielleicht sogar besser als im Prä-Internet-Zeitalter? Klar ist: Wer sich hauptsächlich aus Print und Rundfunk informiert, verlässt sich auf weniger unterschiedliche Quellen als Online-Konsumentinnen und -Konsumenten. Das Zeitungsabo, die Lieblingssendung, das Wochenmagazin, Ende.
Online wird hingegen wild herumgeklickt, kostet ja meist nichts. Studien zeigen zwar, dass das Online-News-Publikum polarisierter ist, sehr groß ist der Unterschied allerdings nicht. Für unliebsame Wahlergebnisse müssen wir also andere Erklärungen finden.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen
Das hat Erpresserpotenzial
Friedenspreis für Anne Applebaum
Für den Frieden, aber nicht bedingungslos
BSW in Sachsen und Thüringen
Wagenknecht grätscht Landesverbänden rein
Rückkehr zur Atomkraft
Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen
Klimaschädliche Dienstwagen
Andersrum umverteilen
Tech-Investor Peter Thiel
Der Auszug der Milliardäre aus der Verantwortung