Erkältungswelle in Deutschland: Kinderkliniken am Limit
Schon vor Wochen warnten Kinderärzt:innen vor einem katastrophalen Herbst und Winter. Nun spitzt sich die Lage in Praxen und Kliniken zu.

Aber es handelt sich, anders als in den letzten Jahren gewohnt, offenbar nicht um Anzeichen einer neuen Coronawelle, sondern um die anderen Erkältungskrankheiten. „Die Erkältungswelle schlägt früher ein, als wir es gewohnt sind“, sagt Jakob Maske, Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte.
Und Philippe Stock, Präsident der Gesellschaft für pädiatrische Pneumologie, wirbt bereits für eine Rückkehr zur Maskenpflicht. Die würde auch bei der aktuellen RSV- und Influenzawelle „definitiv helfen, die Infektionen zu begrenzen“, sagte Stock der Neuen Osnabrücker Zeitung.
RSV steht für Respiratorisches Synzytial-Virus. Es ist laut Robert-Koch-Institut ein weltweit verbreiteter Erreger akuter Erkrankungen der oberen und unteren Atemwege, die der als Grippe bekannten Influenza ähneln. In der Allgemeinbevölkerung wurde RSV lange Zeit unterbewertet, kann aber vor allem für sehr kleine Kinder gefährlich werden.
Die stärkste RSV-Welle
Bei einer rückblickenden Untersuchung entdeckten Wissenschaftler:innen, dass es seit 2011 in jedem Winter eine RSV-Welle gab, die vor allem die bis zu 4-Jährigen traf. Im Winter 2020/21 blieb die Welle aus – sie wurde komplett von Corona und Schutzmaßnahmen verdrängt.
Doch in diesem Winter kehren die eher üblichen Erkältungskrankheiten machtvoll zurück. Die beim RKI angesiedelte Arbeitsgemeinschaft Influenza schätzte, dass bereits in der 46. Kalenderwoche mehr als 8 Prozent aller in Deutschland Lebenden unter einer akuten Atemwegserkrankung litten. Das wären rund 7 Millionen Erkrankte – deutlich mehr als in den Vor-Corona-Zeiten.
Die tatsächlichen Ausmaße messen die Forscher:innen an der Zahl der Arztbesuche. Und dort wird klar, dass die Welle vor allem Kleinkinder unter 4 Jahren betrifft. Sie müssen rund viermal öfter wegen Atemwegserkrankungen behandelt werden als der Bevölkerungsschnitt. Auch bei den 5- bis 15-Jährigen hat sich die Zahl der Arztbesuche innerhalb der beiden letzten Wochen nahezu verdoppelt.
Kinderarzt Jakob Maske sieht im Moment täglich rund 150 Kinder in seiner Praxis: „Das ist nur noch Notfallmedizin.“ Für die meisten Kinder und Jugendlichen sei die aktuelle Welle an Infektionskrankheiten zwar belastend, aber nicht bedrohlich. Vor allem ältere Kinder mit normalen Erkältungssymptomen sollten sich zu Hause auskurieren.
Die Eltern bekommen eine Krankschreibung für bis zu einer Woche, ein Besuch in den überfüllten Praxen sei nicht nötig. Für Schule und Kita werden in den allermeisten Bundesländern bei nicht meldepflichtigen Erkrankungen keine Krank- oder Gesundschreibungen benötigt, hier reicht die Entschuldigung durch die Eltern.
Was tun bei unter 1-Jährigen
Wirklich gefährlich seien Viruserkrankungen wie RSV fast ausschließlich für unter 1-Jährige, die zum Teil mit Sauerstoff versorgt werden müssten, so Maske. Bei Fieber, insbesondere wenn es über mehrere Tage andauert, wenn das kranke Kind nicht mehr trinkt oder schlapp wirkt, wenn den Eltern etwas seltsam vorkomme, sollten sie sofort einen Arzt konsultieren. Und wenn sie dort nicht durchkommen, in die Notaufnahme fahren, rät Maske.
In den Kliniken allerdings sind die Zustände ebenfalls katastrophal, wie unter anderem der Geschäftsführer der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Florian Hofmann im ZDF berichtete. In weiten Teilen Deutschlands gebe es keine freien Krankenhausbetten für Kinder mehr.
Die Kinder müssten weite Strecken transportiert werden oder lägen tagelang in der Notaufnahme. Es gebe zu wenig Betten auf den Kinderstationen, und auch die könnten häufig aufgrund des Personalmangels nicht belegt werden. Eine Initiative der Berliner Kinderkliniken hatte schon vor Wochen davor gewarnt, dass die Einrichtungen die kommende Herbst-Winter-Welle nicht stemmen könnten.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator