Eric Bonse über die gescheiterte Regierungsbildung aus Brüsseler Sicht: Europa wartet nicht
Die Krise in Berlin hat die EU-Politiker in Brüssel auf dem falschen Fuß erwischt. Bisher hatten sie angenommen, die Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich seien riskant, Deutschland hingegen galt als sichere Bank. Nun stellt sich heraus, dass man sich auf Frankreichs neuen Präsidenten Emmanuel Macron verlassen kann – und dass Kanzlerin Angela Merkel zur Wackelkandidatin geworden ist. Und das nicht erst seit Jamaika. Schließlich hat Merkel es schon im Wahlkampf versäumt, sich zu Macron zu bekennen oder eigene europapolitische Ziele zu benennen. Nach der Wahl hat sie mit FDP-Chef Christian Lindner geflirtet, der Macrons Pläne ablehnt.
Deshalb mischt sich nun Erleichterung in das Erstaunen darüber, dass Merkel keine neue Koalition zustande gebracht hat. Dass kein FDP-Mann das Finanzministerium in Berlin übernimmt, ist für Brüssel eine gute Nachricht. Eine schlechte Nachricht ist hingegen, dass Merkel nun keinen schnellen Ausweg aus der selbst verschuldeten Krise sucht. Denn der EU läuft die Zeit davon. Und Europa wartet schon viel zu lange auf Deutschland.
Vor allem bei der Reform der Eurozone stand Merkel auf der Bremse. Jahrelang hat sie alle Expertenberichte ignoriert und alle Gipfelbeschlüsse verschleppt. Nun wird es höchste Zeit für eine Reform. Berlin muss liefern. Das fordert nicht nur Macron, der sich einen Euro-Finanzminister und eine andere, wachstumsfreundliche Politik wünscht. Das fordert auch Kommissionschef Jean-Claude Juncker, der Anfang Dezember eigene Ideen vorlegen will.
Europa wartet nicht, warnt Juncker. Europa kann auch nicht länger warten. Denn schon im Sommer 2018 schließt sich das Zeitfenster für eine Reform – danach wird Brüssel nur noch mit dem Brexit beschäftigt sein. Wenn die Briten im März 2019 endgültig „Bye-bye“ sagen, muss die EU runderneuert sein. Sonst droht ein Fiasko bei der nächsten Europawahl. Deshalb kann Brüssel nicht auf Berlin warten. Merkel steht unter Druck, und das ist auch gut so.
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