Eric Bonse über Großbritannien und den EU-Gipfel: Dreistigkeit siegt
Sie haben es doch noch getan. Nach ungewöhnlich langen und chaotischen Verhandlungen haben Deutschland und die anderen EU-Staaten dem europamüden Großbritannien einen neuen Sonderstatus zugestanden. Weniger Sozialleistungen für EU-Ausländer, neue Sonderrechte für London und ein definitives Goodbye zu einem europäischen Bundesstaat – das hat Premier David Cameron in Brüssel durchgeboxt.
Freuen kann sich darüber niemand. Denn mit dem angeblich „fairen Deal“ wird Europa in Wahrheit weniger fair, weniger sozial, weniger offen. Doch das ist noch nicht alles. Auch die europäische Einigung wird erschwert. Denn Großbritannien nimmt Abschied von der „immer engeren Union“, die Leitbild des EU-Vertrags ist. Dabei machen die Briten bisher schon weder beim Euro noch bei Schengen mit. In der Eurokrise standen sie ebenso untätig am Spielfeldrand wie während der Flüchtlingskrise. Nun bekommen sie ihr Europa à la carte.
Unverständlich ist, dass sich Kanzlerin Angela Merkel auf diesen Kuhhandel eingelassen hat. Sonst gibt sie sich immer prinzipientreu; in der Flüchtlingskrise betont sie die Solidarität. Doch ausgerechnet bei Großbritannien, das sich der europäischen Solidarität noch dreister verweigert als Polen oder Ungarn, drückt sie beide Augen zu. Hehre Prinzipien werden der Realpolitik geopfert.
Das könnte sich noch bitter rächen. Denn das britische Beispiel wird Schule machen. Nationalisten und Populisten in ganz Europa warten nur darauf, es den Briten gleichzutun. Unverständlich ist auch, wie die Berufseuropäer in Brüssel mit Cameron umgegangen sind. Sie hätten seinen Wunschkatalog stutzen und eigene Vorschläge machen können – etwa für mehr Transparenz und Demokratie. Genau das hatte Cameron zu Beginn seiner Kampagne selbst gefordert. Doch der EU sind die Visionen abhandengekommen. Es geht nur noch darum, den Laden zusammenzuhalten.
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