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Ergebnis der WachstumskommissionAlternative für die Tonne

Nach jahrelanger Arbeit hatte eine Bundestagsgruppe einen neuen Wohlstandsbegriff erarbeitet. Jetzt vergammelt der Ansatz im Innenministerium.

Die ganze Kommissionsarbeit ist womöglich für die Tonne gewesen. Bild: dpa

BERLIN taz | Die Bundesregierung versäumt, ein zentrales Ergebnis der Enquetekommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität des Bundestages umzusetzen. Nach zwei Jahren Arbeit hatte das Gremium ein Set von Indikatoren erarbeitet, die eine alternative Wohlstandsmessung in Ergänzung zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) ermöglichen sollte.

Das Statistische Bundesamt sollte nach einem Beschluss der schwarz-gelben Mehrheit des Bundestags entsprechende Daten der Öffentlichkeit verständlich zugängig machen. Doch die finden sich auch zwei Monate nach dem Abschlussbericht der Wachstums-Enquete nicht auf der Website der Wiesbadener Behörde.

„Das ist bemerkenswert“, ärgert sich Daniela Kolbe (SPD), Vorsitzende der Enquetekommission, „schließlich waren im Juni schon Daten auf der Seite eingestellt“. Kurz darauf seien sie wieder verschwunden. Schon zweimal hat Kolbe schriftlich beim zuständigen Bundesinnenminister nachgefragt, wann mit einer Umsetzung des Bundestagsbeschlusses zu rechnen sei. Sie habe nicht einmal eine Antwort erhalten, „mehr als befremdlich“, sei das. Sollte es einen verborgenen Zeitplan geben, könnte das Ministerium den ja mitteilen.

Doch scheint es keinen zu geben: Auf Nachfrage teilt das Innenministerium nebulös mit, der Entschließungsantrag enthalte „eine Reihe von Punkten bezüglich der Messung von Berichterstattung von Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität, die in Zusammenhang zu erörtern und zu entscheiden sind“. Die Prüfung innerhalb der Bundesregierung sei noch nicht abgeschlossen, heißt es weiter, und: „Das Bundesinnenministerium wirkt an dieser Prüfung mit.“ Das Statistische Bundesamt wollte auch nach mehrmaliger Nachfrage keine Stellungnahme abgeben.

Wohlstand, Soziales und Teilhabe, Ökologie

Zu lange sollte das Ministerium nicht mehr prüfen, meinen diejenigen, die in der Projektgruppe mitgearbeitet haben. „Eine zeitnahe Veröffentlichung nach der Wahl brächte meines Erachtens gut zum Ausdruck, dass sich die neue Bundesregierung des Themas mit hoher Priorität weiter annimmt“, sagt die Berliner VWL-Professorin Beate Jochimsen.

Als Indikatoren für Wohlstand in der Bevölkerung waren die drei Bereiche materieller Wohlstand, Soziales und Teilhabe sowie Ökologie identifiziert worden. Sie sollten unter anderem durch das BIP, die Einkommensverteilung und Staatsschulden definiert werden; durch Beschäftigung, Bildung, Gesundheit, die nationalen Treibhausgase, den Überschuss an Stickstoff sowie die Artenvielfalt. Zusätzlich sind sogenannte Warnlampen vorgesehen, die negative Entwicklungen frühzeitig anzeigen sollen, etwa in der Vermögensverteilung oder bei Immobilienpreisen.

Die Enquetekommission hatte seit 2011 getagt, 17 Politiker aller Fraktion und ebenso viele bestellte Experten hatten in insgesamt fünf Arbeitsgruppen getagt. Konkrete Ergebnisse lieferte nur die Arbeitsgruppe 2, die Modelle für alternative Wohlstandsmessungen erstellt hatte.

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2 Kommentare

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  • AU
    Andreas Urstadt

    ps

     

    es war abgesprochen und allen in der Enquete klar, dass sich bis nach den Wahlen nichts tut, alles sollte aus dem Wahlkampf draussen gehalten werden und aus der Wahlkampfzeit; das Sticheln der taz jetzt ist seltsam. Daniela Kolbe hat einen Superjob gemacht und das wird offenbar ganz schnell riskiert.

     

    Aus wissenschaftlicher Sicht ist die ganze Vorstellung frustrierend. Politikern nicht trauen ist die Erfahrung.

     

    Innerhalb der Enquete war man unzufrieden gegen die Medien wg Befeuern schlechten Klimas. Die taz haut genau da wieder rein. Dickes Minus.

     

    Xxxxxxxjournalisten.

  • AU
    Andreas Urstadt

    Die Enquete ist sich selbst nicht einig. Seltsamerweise standen Endergebnisse bereits vor einem Jahr in den think tanks von Gruenen und SPD. Und das entgegen dem Abstimmungsverhalten der SPD zum Schluss der Enquete. Nach den Formulierungen der think tanks gilt der Inhalt der think tanks entgegen den Beschluessen und Abstimmungen der SPD mit der CDU. Da war klar Foulspiel dabei. Tendenzen wurden hingebogen. Bremst da wer, legt er eine Retourkutsche hin. Die Dinge sollten einvernehmlich aus der Wahlkampfzeit draussen gehalten werden. Am Ende hielt sich keiner an irgendwas. Die think tanks beriefen sich auf Experten (de facto Seilschaften), die nichts mit in die Enquete geladenen Experten zu tun hatten. Die Qualifikationen der think tank Experten liegen teils weit unter den Wissenschaftlern der Enquete, ersetzt mit viel Parteiideologie.

     

    Die Enquete haette laengst von sich aus mit den Nachhaltigkeitsstrategien der Laender koalieren koennen und Inhalte umsetzen koennen! Auf Anfrage sind die Themen hochwillkommen. Stattdessen wird Wahlkampf mit Grillwuersten betrieben. Kein guter Beitrag zum ecological footprint.