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Erfolg der Wochenzeitung „Kontext“Auf de schwäbsche Eisebahne in Gegenrichtung

Die Wochenzeitung „Kontext“ zeigt, dass Lokaljournalismus leben kann und will. Nun übernimmt der Verlag zwei alteingesessene Anzeigenblätter.

Publizistisches Erbe: Die „Blättle“ werden durch Kontext weiterleben Foto: Joachim E. Roettgers

H eiligs Blättle! Diese Woche ist der Wüstenradar vorgestellt worden. Ein Projekt, das aufzeigt, wo es in Deutschland schlecht mit seriöser lokaler oder regionaler Information aussieht. Als wir auf der taz-Medienseite vor 20 Jahren die „Einzeitungskreis“-Serie gestartet hatten, war die Lage schon – „Kacke!“, ruft die Mitbewohnerin. Heute heißt das in der gelehrten Sprache der Rudolf-Augstein-Stiftung, die das Wüstenradar-Projekt unterstützt hat, dass in vielen Ecken Deutschlands „von einem Korrektiv- und Präventivelement der Vierten Gewalt nicht mehr ausgegangen werden kann“.

Nun ist immer alles schlimm und wird immer schlimmer. Zum Glück stimmt das nicht ganz. Vor 13 Jahren hatten ein paar verrückte Ex-Stuttgarter-Zeitung-Journalist*innen die Idee, ihrem alten Blatt zu zeigen, wie echter Journalismus geht. Dabei heraus kam Kontext. Die Wochenzeitung aus Stuttgart fürs ganze Ländle und weit darüber hinaus ist heute nicht mehr wegzudenken.

Auch nicht aus der wochentaz, der die gedruckte Ausgabe jeden Samstag beiliegt. Derweil sind die Stuttgarter Zeitung und die Stuttgarter Nachrichten eine zusammengelegte Soße und werden immer dünner. Beim Start von Kontext ging es in erster Linie darum, einen gewissen Günther Oettinger zu ärgern. Heute geht es um viel mehr, von Stuttgart 21 über Reichsbürger-Umsturzpläne und Hetzpredigten in Freikirchen bis zum CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz. Kontext behauptet dabei nicht nur, sie machten demokratischen Journalismus. Sie tun es wirklich.

Jetzt folgt das nächste Abenteuer. Kontext expandiert. 2025 übernimmt der gemeinnützige Verlag zwei alteingesessene Schtuegerter Anzeigenblätter, die Stadtteilzeitungen Blättle-West und Blättle-Süd. Als Antwort auf die Lücken in der Stuttgarter Presse und als Signal, dass der Lokaljournalismus leben kann und will. Die bisherigen Blättle-Macher*innen Christel Werner und Titus Häussermann gelten in Stuttgart als „Nachrichtenhelden“. Aber auch die wollen irgendwann mal in den Ruhestand. Also geben sie ihre rund 100.000 Le­se­r*in­nen in gute Hände ab.

Anzeigenblätter statt Tageszeitung

Professionell gemachte Anzeigenblätter sind in vielen Ecken der sich ausbreitenden Informationssteppen an die Stelle der lokaljournalistischen Altversorger namens Tageszeitung getreten. „Ach schön, da werden wohl alle Lexika umgeschrieben? Ein Anzeigenblatt wird doch mehr Zeitung“, meint die Mitbewohnerin. Andererseits machen sich gerade im Osten auch alt- und neurechte Publizisten breit, die so gar nichts mit demokratischem Journalismus am Hut haben.

Umso schöner, dass es mit Kontext auf de schwäbsche Eisebahne in eine andere Richtung geht. Wir wünschen viel Dampf unterm Kessel und freuen uns schon, wenn’s weitergeht. Auf nach Ulm und Biberach, Mekkebeure, Durlesbach!

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Steffen Grimberg
Medienjournalist
2000-2012 Medienredakteur der taz, dann Redakteur bei "ZAPP" (NDR), Leiter des Grimme-Preises, 2016/17 Sprecher der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, ab 2018 freier Autor, u.a. beim MDR Medienportal MEDIEN360G. Seit Juni 2023 Leitung des KNA-Mediendienst. Schreibt jede Woche die Medienkolumne "Flimmern und rauschen"
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