Erfolg bei Suche nach Corona-Impfstoff: 90 Prozent geringeres Risiko
Ein Biontech-Produkt reduziert das Infektionsrisiko deutlich. Eine wichtige Testphase steht aber noch bevor. Aktienkurse wirbeln schon durcheinander.
Biontech testet den Wirkstoff derzeit an 43.000 Studienteilnehmern. Davon enthält ein Teil den echten Impfstoff, ein Teil nur ein Scheinmedikament. Da in beiden Gruppen einige Covid-Fälle aufgetreten sind, lässt sich mit Blick auf die bereits gesammelten Daten sagen: Der Impfstoff verringert im Vergleich zur Kontrollgruppe das Infektionsrisiko um 90 Prozent.
Diese Berechnung stützt sich allerdings bisher nur auf vorläufige Daten, die auf wenigen Erkrankungen beruhen. Die Studie muss mindestens weiterlaufen, bis 164 Fälle aufgetreten sind – erst dann ergibt sich eine gewisse statistische Sicherheit. Die ermutigende Nachricht ist also mit dem Vorbehalt zu verstehen, dass sich die Zahlen noch ändern können.
Biontech gehört zusammen mit einer Handvoll Konkurrenten zu den Spitzenreitern im Impfstoffrennen. In Europa läuft das Zulassungsverfahren für das Biontech-Produkt bereits, in den USA soll es kommende Woche anlaufen. Die Behörden prüfen die Daten in einem beschleunigten Verfahren. Sie nehmen die Studienergebnisse in dem Tempo entgegen, in dem diese bei den Forschern hereinkommen. Damit lässt sich im Vergleich zum Normalfall viel Zeit sparen. Üblich ist es, erst alle Studien abzuschließen und dann alle Informationen gebündelt bei der Arzneiaufsicht einzureichen.
Biontech aus Mainz war aus mehreren Gründen bei der Entwicklung besonders schnell. Der wichtigste ist die ausgeklügelte Technik. Sogenannte mRNA-Impfstoffe entstehen rein gentechnisch. Es handelt sich ebenso sehr um Erfolge der Informationsverarbeitung wie um das Ergebnis von Laborexperimenten. Das eigentliche Virus ist zur Entwicklung und Herstellung solcher Impfungen nicht notwendig – nur sein genetischer Code. Das ist zwar einerseits kompliziert, andererseits vereinfacht es die Bereitstellung erheblich.
Impfstoffsuche schon seit Januar
Firmenchef Sahin hat die Entwicklung zudem bereits im Januar angeschoben, als erste Neuigkeiten von einem gefährlichen Virus aus China heraussickerten. Das hat Biontech einen erheblichen Vorsprung verschafft. Das Projekt befindet sich bereits im zehnten Monat. In dieser Zeit haben die Biontech-Forscher rund um die Uhr daran gearbeitet. Biomediziner Sahin hat das Unternehmen aus seinem Labor an der Uni Mainz ausgegründet. Er ist Sohn türkischer Einwanderer.
Zur Beschleunigung der Tests hat ebenfalls beigetragen, dass sich weltweit sehr schnell Freiwillige fanden, die an den Studien teilnehmen wollten. Derzeit begünstigt auch das heftige Infektionsgeschehen in den USA die Abgrenzung der Impfgruppe gegen die Kontrollgruppe: Diese hat nur Sinn, wenn die Studienteilnehmer in ihrem Alltag reichlich Gelegenheit haben, sich anzustecken.
Tiefkühlung absolut notwendig
Der Biontech-Impfstoff kommt nun zwar voraussichtlich recht früh auf den Markt, doch er hat auch Nachteile. So muss er stets gut gekühlt werden. Er besteht aus empfindlichen Gebilden aus Fettmolekülen, in die die genetischen Botenstoffe eingeschlossen sind. Bei Raumtemperatur – und schon bei Kühlschranktemperatur – fallen sie auseinander. Die Handhabung in normalen Arztpraxen gilt daher nicht als realistische Option.
Die Bundesregierung plant stattdessen die Einrichtung von Impfzentren. Derzeit sind dafür 60 Krankenhäuser im Gespräch. Die Bundeswehr könnte helfen, die empfindlichen Substanzen zu transportieren. Um voll wirksam zu werden, sind zwei Spritzen im Abstand von rund drei Wochen nötig.
Der Börsenkurs von Biontech stieg am Montag nach Bekanntwerden der Nachricht um 25 Prozent. Auch die Aktien von anderen Firmen, die stark von Corona gebeutelt sind, legten stark zu. Der Kurs des Videokonferenz-Dienstleisters Zoom fiel zugleich um 17 Prozent. Börsenkommentatoren zeigten sich euphorisch über die angebliche Trendwende im Pandemiegeschehen. Dabei wird sich die Impfung der Bevölkerung auch im günstigsten Fall rund ein Jahr hinziehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs