Erfahrungen mit der deutschen Flagge: Unbehaglich mit Schwarz-Rot-Gold
Als ich nach Deutschland kam, ist mir die Flagge nur in rechts-nationalistischen Kontexten begegnet. Doch sie kann für Exil-Syrer eine Lücke füllen.
ber meine Erfahrungen mit der deutschen Flagge habe ich in der letzten Ausgabe dieser Kolumne geschrieben, und vor allem darüber, wie ich diese bei einem Spaziergang letztens gesehen habe und zunächst mit Rechtsextremismus verbunden habe. Ich habe die Kolumne genutzt, um dieses Gefühl zu hinterfragen, ich habe sozusagen durch das Schreiben nachgedacht. Der Artikel hat online viele Kommentare erhalten, jedenfalls mehr als viele andere Ausgaben dieser Kolumne.
Einige Kommentator*innen fanden meine Position überempfindlich, andere wollten das Zeigen der Flagge rechtfertigen, andere hatten ähnliche Erfahrungen wie ich. Neben den Sub-sub-Diskussionen, die sich ja meistens in den Kommentarspalten im Internet ergeben, gab es leider auch einige sehr oberflächlich kritische Kommentare, wobei ich das Gefühl hatte, der/die Person hatte vielleicht keine Lust, den Artikel bis zum Ende zu lesen. Etwa wenn mir indirekt zu viel „wokeness“ vorgeworfen wird – meine tatsächlich woken Gen-Z-Kolleg*innen würden da wohl gerne widersprechen.
Andere Kommentare waren interessanter und haben mich zum Nachdenken gebracht. Zum Beispiel wenn jemand schreibt, er/sie sei mit der Zeit „in mein Deutschsein hinein gewachsen“ und habe heute weniger Unbehagen, die Flagge zu sehen. Oder wenn jemand anderes findet, dass Schwarz, Rot, Gold auf der Nationalflagge „ein Zeichen für die Demokratie“ seien. Das zeigt mir, was für einen Unterschied die persönliche Erfahrung machen kann.
Deutsche Flagge in Anti-Refugees-Kontexten
Als ich 2015 nach Deutschland kam, ist mir die deutsche Flagge nur in rechts-nationalistischen und Anti-Refugees-Kontexten begegnet. Ich weiß, dass das kein repräsentatives Bild ist, aber es war das Bild in meinem Kopf. Dazu kommt, dass ich bis heute keine Deutschen ohne Migrationshintergrund kenne, die sich die Nationalflagge ins Fenster oder ans Auto hängen.
Das Thema Nationalflagge ist auch über Deutschland hinaus besonders für mich als Syrer. Ich habe nach 2011 nicht nur mein Heimatland verloren, sondern auch jedes Gefühl der Identifikation mit der syrischen Nationalflagge. Als die Demonstrationen gegen das Assad-Regime angefangen haben, zeigten viele junge Leute eine alternative syrische Nationalflagge, die aus der Zeit vor der Baath-Partei kommt. Seitdem zeigt sich die Spaltung der syrischen Gesellschaft auch durch die verschiedenen Flaggen.
Flaggenthema ist noch aktuell
Dieses Flaggenthema ist immer noch aktuell, auch weil Nationalstolz in unserer Jugend in Syrien keine unwichtige Rolle spielte – wir hatten sogar ein Pflichtfach in der Schule, ungefähr „altarbiat alqawmiat aliashtirakia“, auf deutsch „Nationalsozialistische Bildung“.
Heute müssen wir uns gegenseitig fragen: Welche Flagge zeigst du in den sozialen Medien? Auf welcher Seite bist du? Als ob es so einfach wäre.
Als ich letztens wieder zu Fuß auf dem Weg ins Büro war, lief ich an einem roten Auto vorbei und auf der Heckscheibe klebten zwei Aufkleber: der Umriss der Landkarte von Syrien und die deutsche Nationalflagge. Es war, als ob der/die Besitzer*in des Autos Vergangenheit und Zukunft zeigen wollte. Vielleicht geht es auch darum zu signalisieren, dass Gefühle der Zugehörigkeit und der Identifikation nicht exklusiv sein müssen.
Deutsche Flagge kann eine Lücke füllen
Die deutsche Flagge kann also gerade für uns Exil-Syrer*innen eine Lücke füllen, wenn wir auf der Suche nach neuen Symbolen sind. Und damit bin ich wieder bei der These meiner letzten Kolumne: Es ist wohl an der Zeit, die deutsche Nationalflagge in einem neuen Licht zu sehen: als Symbol für ein Land ohne Krieg und als Gegenstück zu den zerstrittenen syrischen Flaggen.
Die Nationalflagge kann auch als Symbol für den Zusammenhalt der Gesellschaft und für Deutschland als Einwanderungsland dienen – wenn es dafür eine Mehrheit gibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Plädoyer im Prozess zu Polizeigewalt
Tödliche Schüsse, geringe Strafforderung
Olaf Scholz in der Ukraine
Nicht mit leeren Händen