piwik no script img

Erdoğans Machtspiele vor dem Nato-GipfelAuf Schwedens Schultern

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Auf die Politik in Stockholm einzuwirken, ist nicht zuerst Erdoğans Absicht. Dem türkischen Präsidenten geht es um Respekt der Nato-Mitgliedsstaaten.

Der türkische Präsident lässt die Schweden beim Nato-Beitritt weiter zappeln Foto: Burhan Ozbilici/ap

R ecep Tayyip Erdoğan ist ein kühl kalkulierender, skrupelloser Politiker, der immer auch für Überraschungen gut ist. Wo er einen Vorteil sieht, versucht er, ihn sich zunutze zu machen. Der Wunsch Schwedens, möglichst schnell Nato-Mitglied zu werden, ist für Erdoğan eine strategische Gelegenheit, die Türkei innerhalb der Nato aufzuwerten.

Seine anhaltende Weigerung, dem Beitritt Schwedens zuzustimmen, während er sich gegenüber dem Beitrittswunsch der Ukraine für offen erklärte, mag ihm wenig Sympathien unter den Nato-Mitgliedstaaten einbringen. Machtpolitisch aber müssen sie anerkennen, dass ohne Erdoğan gar nichts geht. Das ist schon einmal ein Wert an sich, denn Erdoğan kann davon ausgehen, dass seine Interessen im Nato-Umfeld fortan von vornherein auf größere Berücksichtigung stoßen.

Man kann davon ausgehen, dass die von der türkischen Regierung vorgebrachten Gründe gegen einen schwedischen Nato-Beitritt nur eine völlig untergeordnete Rolle spielen. Angesichts der Rechtsentwicklungen in Schweden ist das Land schon längst kein sicherer Hafen mehr für verfolgte Kurden und kritische Journalisten, die vor der Repression in der Türkei fliehen müssen. Das weiß auch Erdoğan.

Sein eigentliches Ziel in diesem Politpoker ist deshalb auch weniger eine Änderung der schwedischen Politik als vielmehr die Anerkennung der USA, dass die Türkei ein unverzichtbarer, wichtiger Player innerhalb der Nato ist. Die Führungsmacht der Nato hat Erdoğan bislang rechts liegen gelassen. US-Präsident Joe Biden weigert sich, Erdoğan im Weißen Haus zu empfangen. Der Kongress blockiert Waffenlieferungen an die Türkei und hofiert – so stellt es sich in Ankara dar – stattdessen Griechenland.

Damit sich das ändert, steht Erdoğan bei Schwedens Beitritt auf der Bremse. Erdoğan trifft zwar am heutigen Montag den schwedischen Ministerpräsidenten Ulf Kristersson, doch er wartet nicht auf Zusagen aus Stockholm, sondern auf ein Signal aus Washington. Vor allem nach seinem neuerlichen Wahlsieg Ende Mai ist er überzeugt davon, dass Biden nun nicht mehr an ihm vorbeikommt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • In den deutschen Diskursen wird gerne übersehen, dass die Türkei die zweitgrößte Militärmacht der NATO sein will und es zumindest nach der Größe der Streitkräfte es auch bereits ist.

    Diese Ambitionen sind nicht völlig aus der Luft gegriffen. Klar wirtschaftlich ist es eher mau aber solange man sowohl in der NATO ist (geostrategische Lage!) als auch enge Bündnisse mit Katar und den turkischen Staaten in Zentralasien pflegt, hat Ankara viele machtpolitische Spielräume - siehe Libyen, Ukraine, Syrien, Ägypten, Aserbaidschan und übrigens auch Deutschland (jedenfalls mehr als andersherum).

    Die Türkei hat mehr Einfluss auf das Weltgeschehen als Deutschland. Jegliche Arroganz sollte man sich daher sparen.

  • Erdogan steht eigentlich nicht für die Werte der Mehrheit der Natoländer.



    Es handelt sich um einen Zusammenschluss demokratischer Länder.



    Leider entwickeln sich einige dieser Staaten nach rechts und weg von der Demokratie.



    Diesem Trend gilt es entgegen zu wirken.



    Es sollte demnach keine Zugeständnisse an Ankara geben.



    Wenn das bedeutet, dass Schweden noch etwas auf den Beitritt warten muss, ist das kein Beinbruch, eine Kooperation ist auch so möglich.



    Abgesehen davon ist Schweden auch nach rechts gerückt und ich persönlich wünsche der schwedischen Regierung, die sich von Rechtsextremen unterstützen läßt, keine Erfolge.

    • @Philippo1000:

      "Es handelt sich um einen Zusammenschluss demokratischer Länder."

      Das war (leider) nie so. Eines der Gründungsmitglieder war Portugal, seinerzeit eine klassische Militärdiktatur. Die Türkei kam 1952 hinzu, ebenfalls eine Militärdiktatur, und damit noch vor der BRD.

  • ach, es wäre so schön, wenn sich der türkische präsidialterrörist verrechnen und aus der nato gefeuert würde. ekelhaft.

  • Respekt verdient man sich anders.



    Das gilt für die Türke wie für die Polen und Ungarn.