Erdbebensorge auf griechischer Insel: „Nur, wenn sie sagen, die Insel geht unter“
Seit Ende Januar bebt die griechische Urlaubsinsel Santorin. Die Angst vor einem Megabeben hat viele Bewohner vertrieben. Andere wollen bleiben.
![Ein Mann mit Jeans und beiger Jacke steht vor einem Küstenpanprama. Im Hintergrund das Meer Ein Mann mit Jeans und beiger Jacke steht vor einem Küstenpanprama. Im Hintergrund das Meer](https://taz.de/picture/7519162/14/37635889-1.jpeg)
Es ist Tag 15 einer geradezu unheimlichen Bebenserie. Sie nahm am 24. Januar ihren Anfang. Seither zittert die Erde auf Santorin immer wieder. Seismografen haben inzwischen über 7.000 Erdstöße registriert. Maximale Stärke bislang: 5,2 auf der Richterskala.
Trotz Beben macht der Grieche keine Anstalten aufzustehen, geschweige denn seine Bleibe zu verlassen. Angst hat er nicht. „Nicht bis zur Stärke sieben“, sagt er.
Dabei erinnert sich Vlavianos noch daran, wie es sein kann, wenn ein starkes Beben die Insel erschüttert. Er war 13, als Santorin am 9. Juli 1956 von einem Doppelbeben mit Magnituden von über sieben Richter erschüttert wurde. Es löste einen Tsunami mit Wellen von bis zu 22 Metern Höhe aus. 50 Menschen starben damals. Das alte Haus, in dem sie in Fira, in der Hauptstadt der Insel, wohnten, hatte keine Fundamente. Vlavianos gesamte Familie verließ Hals über Kopf das Haus und floh an die Ostküste. „Das rettete uns das Leben.“
Der Vulkan neben dem Urlaubsparadies
Nun aber fühlt er sich sicher. „Sie sehen doch“, sagt er: „Das Haus ist neu. Das hält auch starke Erdbeben aus.“ Auch wenn er mit seinem klapprigen Renault Clio auf der Insel herumfährt, könnten ihm die Erdstöße nichts antun. Er betrete keine alten Gebäude, das reiche vorerst als Vorsichtsmaßnahme. Santorin verlassen? „Nur, wenn sie uns sagen: ‚Die Insel geht unter.‘“
Santorin ist ein Urlaubsparadies. Voriges Jahr strömten mehr als drei Millionen Touristen aus aller Welt auf die einzigartige Vulkaninsel. Keine andere griechische Insel wird von so vielen Kreuzfahrtschiffen angesteuert wie Santorin. Eine Postkartenidylle.
Doch der Schein trügt. Experten warnen von einer „ernsten Gefahr“. Das liegt an Kolumbos, einem Unterwasservulkan, der sieben Kilometer nordöstlich von Santorin liegt. Vor mehr als drei Jahrhunderten, 1649, stieg dieser, begleitet von zahlreichen Erdbeben, aus dem Meer auf. Im Jahr darauf brach der Vulkan in einer explosionsartigen Eruption aus. Er stieß über Monate Rauch und Asche aus. Dutzende Menschen kamen ums Leben, Tausende Tiere verendeten in den giftigen Gasen. Der Ausbruch löste einen Tsunami aus.
Mittlerweile haben sich erneut riesige Mengen Magma in dem Vulkan angesammelt. Über 300 Jahre lang schien er zu schlafen. Doch im September 2011 kamen Wissenschaftler an Bord eines Forschungsschiffes zur Erkenntnis: Kolumbos atmet wieder. Seit Beginn der Erdbebenserie dieser Tage verlassen viele der Inselbewohner das Eiland, bislang mehr als 10.000 der 25.000 dauerhaft auf der Insel lebenden Menschen. Vor Santorins Flughafen sind Hunderte Autos abgestellt. Für wie lange, weiß keiner. Strafzettel werden nicht verhängt.
Köche, Kellner, Rezeptionisten verlassen die Insel
Christos Mendrinos, 50, sieht keinen Grund, die Insel zu verlassen. Er plädiert für Ruhe und Besonnenheit. Mendrinos ist der Besitzer zweier Hotels in der santorinischen Hauptstadt Fira. Er greift nach einem Stapel ausgedruckter Seiten, die auf seinem Schreibtisch liegen. „Alles neue Buchungen! Allerdings für Ankünfte ab Mitte März. Für jetzt nehme ich keine Buchungen an, weil ich derzeit unterbesetzt bin und daher nicht den gewohnten Service bieten kann.“
Ob Köche, Kellner, Zimmermädchen oder Rezeptionisten: Viele, die im Tourismus angestellt sind, aber auch Bauarbeiter aus ganz Hellas, die auf Santorin ihre Brötchen verdienen, haben das Weite gesucht. Mit Erdbeben haben sie bisher wenig Erfahrung. Manche ängstigt das Dauerzittern der Erde, andere haben Angst vor einem Mega-Beben, Tsunami oder Vulkanausbruch. Dass so viele Geschäfte, Restaurants, Cafés und Hotels wie jetzt in Santorin zugesperrt sind, ist denkbar ungewöhnlich.
Im Inselinneren hingegen herrscht reger Betrieb. Ein knallroter Bus glänzt in der Sonne – die mobile Kommandozentrale der griechischen Feuerwehr. Die griechische Feuerwehr ist seit Samstag voriger Woche verstärkt auf Santorin präsent. Zusätzliche Kräfte wurden aus Athen entsendet, das Personal wurde so auf 70 Feuerwehrleute aufgestockt.
Auch das Militär und die Hafenpolizei wurden in erhöhte Bereitschaft versetzt. Mitte voriger Woche wurde zudem – vorbeugend – der Notstand auf Santorin ausgerufen. Er gilt vorerst bis zum 1. März. Dadurch können die Behörden die Besitzer von schwerem Gerät und andere Menschen unbürokratisch für Räumungsmaßnahmen und andere Arbeiten zum Dienst verpflichten. Bisher sei es zu keinem einzigen Einsatz gekommen, hebt die Feuerwehr auf Anfrage der taz hervor.
Ein Vulkanausbruch hat die Insel geschaffen
Einige Urlauber jedoch wollen sich auch in diesen Tagen vom einzigartigen Naturphänomen nicht verschrecken lassen. Die meisten von ihnen kommen aus Asien oder Übersee. Unbeirrt malt eine ältere Chinesin mit rosa Hut von der Hotelterrasse mit Blick auf die Vulkaninsel Nea Kameni ein Bild davon. Haruki und Shun aus Tokio, beide 23, stehen vor Firas blütenweißer Kirche. „Bei uns in Japan sind die Beben sehr viel stärker. Wackelt unser Hotel, schlafen wir einfach weiter“, kichert Haruki. Shun nickt.
Der Hotelier Mendrinos setzt sich an seinen PC und pflegt die neuen Reservierungen für Ankünfte ab Mitte März in sein Buchungssystem ein. „Ein Vulkanausbruch hat die Insel geschaffen“, sagt er: „Jetzt erzieht die Insel uns. So etwas verpasst man nicht.“ Seine Augen funkeln.
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