■ Erbakan hält an Çiller fest, trotz aller Korruptionsvorwürfe: Machterhalt um jeden Preis
Die große Weißwäsche steht diese Woche im türkischen Parlament an. Reingewaschen wird Außenministerin Tansu Çiller. Drei Abstimmungen stehen an, sie werden darüber entscheiden, ob sich die Ministerin wegen Korruption und persönlicher Bereicherung im Amt vor Gericht verantworten muß. Zwei Untersuchungsausschüsse, über deren Bericht abgestimmt wird, waren auf Antrag der islamistische Wohlfahrtspartei eingerichtet worden. Doch die will heute von den Ausschüssen nichts mehr wissen, das Ergebnis steht bereits im voraus fest. Die Außenministerin wird mit der Mehrheit aus Islamisten und ihren eigenen Parteigängern freigesprochen. Der Hauptakteur ist Ministerpräsident Necmettin Erbakan.
In dem maroden, korrupten politischen System der Türkei waren die Islamisten einst als Moralisten angetreten. Die Wähler dankten dies mit ihren Stimmen. Doch mittlerweile ist den Islamisten jede kriminelle Kumpanei recht, Hauptsache, die Koalition bleibt erhalten und Erbakan bleibt Ministerpräsident. Millionen Türken, die aus Protest gegen die Verflechtung von Mafia, Polizei und Politik allabendlich ihre Wohnungen verdunkeln und mit großem Getöse auf die Straße ziehen, denunziert Erbakan inzwischen als „Parasiten“. Sein Justizminister Sevket Kazan streckt derweil islamistischen Terrorgruppen die schützende Hand des Staates entgegen. Und zur gleichen Zeit schlagen in Antalya Polizisten einen Pensionär tot, nur weil er sich zur unrechten Zeit – abends um neun Uhr, wenn im Rahmen der Protestaktionen die Lichter ausgehen – auf die Straße begeben hat.
Auch mit der islamistisch-konservativen Koalition bleibt der Widerspruch in der türkischen Gesellschaft erhalten. Auf der einen Seite die Heroinhändler, die Killer der Todesschwadrone und deren Helfershelfer im Staat, die das Repressionsinstrumentarium des Staates gegen die Opposition wenden. Auf der anderen Seite die Bürgerinnen und Bürger, denen die Luft abgedreht wird, wenn sie auch nur die minimalsten Grundrechte, die nur auf dem Papier stehen, auf der Straße einklagen.
Erbakan hat sich auf die Seite der Korrupten geschlagen. Der Charme der Macht, den niemand in der Türkei so gut verkörpert wie Tansu Çiller, hat ihn verführt. Das Aufkeimen einer starken außerparlamentarischen Demokratiebewegung ebnet somit gleichsam den Weg für den Niedergang der islamistischen Bewegung. Ömer Erzeren
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