Entscheidung zu Waffenlieferungen: Krieg treibt Rüstungsdebatte an
Nun fordern auch Regierungsmitglieder, den Bundeswehretat zu erhöhen. Experten mahnen: Die Probleme liegen nicht nur bei den Finanzen.
Das bekräftigte unter anderem André Wüstner, Vorsitzender des Bundeswehrverbands, am Samstag im ZDF Morgenmagazin und verwies auf Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD). Sie forderte bereits in der Woche vor dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine mehr Geld für die Bundeswehr – ähnlich äußerten sich inzwischen auch andere Regierungsmitglieder, wie Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP). Der Krieg hat die Debatte um den Zustand der Bundeswehr wieder ins Rollen gebracht.
Mehr Geld behebe aber nicht die Probleme der deutschen Armee, widerspricht Jürgen Wagner, geschäftsführender Vorstand der Informationsstelle Militarisierung: „Die Bundeswehr ist nicht unterfinanziert, sie ist ein Fall für den Rechnungshof.“ Die Regierung solle Probleme in Strukturen bei der Beschaffung von Materialien angehen, statt mehr Geld zu fordern. Der Etat sei schließlich in den vergangenen Jahren bereits gestiegen.
Tatsächlich stieg der Verteidigungshaushalt seit 2014 jährlich an. Während die Bundesrepublik damals 32,4 Milliarden Euro für ihr Militär ausgab, sind für dieses Jahr bisher 50,3 Milliarden Euro geplant. Laut dem Bericht des Bundesministeriums für Verteidigung sind davon 10,15 Milliarden Euro als Investitionen für „Militärische Beschaffungen“ vorgesehen. Ein großer Teil soll Personalkosten finanzieren, beispielsweise die mehr als 180.000 Soldat*innen.
Hubschrauber vom ADAC
In den nächsten Jahren sollte der Verteidigungsetat allerdings wieder sinken, für 2025 plant die Regierung bisher 46,7 Milliarden Euro. Für Erich Vad, Ex-General und langjähriger Militärberater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, ist das unverständlich. In der Bundeswehr fehle es überall an Personal und Material. „Wir brauchen eine signifikante Steigerung des Etats“, sagt er und erinnert an die zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die Deutschland dem Nato-Bündnis zugesagt hat. Aktuell wären das etwa 70 Milliarden Euro.
Aber auch Vad sieht in den Strukturen der Bundeswehr Probleme. Es gäbe „zu viele Generäle, Stabssoldaten und Bürokraten und zu wenige einsatzfähige Soldaten“, urteilt er. Letztere seien zudem nicht gut ausgestattet und es dauere lange, bis sie neue Kleidung oder andere Ausrüstung bekommen. Auch wenn es mittlerweile schneller ginge als noch vor zehn Jahren: Manche kauften lieber selbst und „bezahlen aus eigener Tasche“, weil sie nicht auf den offiziellen Weg warten wollten.
Ebenso kritisch sieht Vad die Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr, also unter anderem von Panzern und Hubschrauber. Laut dem aktuellen Bericht des Verteidigungsministeriums liegt die Einsatzbereitschaft mit 77 Prozent zwar über dem Zielwert von 70 Prozent, „aber, das ist schon geschönt“, sagt Erich Vad. „Faktisch sieht die Materiallage dramatisch schlechter aus“, die Bundeswehr sei nicht für die Landesverteidigung einsatzbereit. Bestimmte Bereiche kommen auch im Bericht nicht auf 70 Prozent. Die Hubschrauber sind etwa zu 40 Prozent einsatzbereit. Vad frustriert das: „Für die Pilotenausbildung muss die Bundeswehr Hubschrauber beim ADAC anmieten.“
Bessere Zusammenarbeit statt bessere Ausrüstung
Michael Brzoska, ehemaliger Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Hamburger Universität, hat ebenfalls gehört, dass die Zahlen zur Einsatzbereitschaft der Bundeswehr wohl „geschönt“ seien. Die Frage, wie hoch der Etat sein sollte, beantwortet er dennoch nicht. „Für mich ist vorrangig, die Effizienz der Bundeswehr zu erhöhen.“ Dafür solle sie sich auf Landesverteidigung und eine bessere Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedsstaaten der EU konzentrieren. Wobei eine stärkere Bundeswehr nicht dazu beigetragen hätte, die Eskalation im Ukraine-Konflikt zu verhindern, vermutet Brzoska. Insgesamt sei die Nato in Militärausgaben und Rüstung gegenüber Russland deutlich überlegen.
Das glaubt auch Ali Al-Dailami, der verteidigungspolitische Sprecher der Linken. Er verurteilt es, für Rüstungsforderungen den „Ukraine-Krieg zu instrumentalisieren.“ Aufrüstung führe zu immer neuen Konflikten.
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) betont hingegen den Unterschied zwischen Aufrüstung und Ausrüstung der Bundeswehr: Es gehe ausschließlich darum, sie „anständig auszurüsten“, sagt Strack-Zimmermann. Nur so könne die Bundeswehr „ihren Pflichten und Aufgaben“ angemessen nachkommen.
Von der Zeitenwende, wie Olaf Scholz sagte, und der Debatte profitieren bisher vor allem Rüstungskonzerne. Das zeigt beispielsweise die Rheinmetall-Aktie: Lag sie vergangenen Montag noch bei 88,52 Euro, stieg sie bis zum Freitag auf 109,20 Euro.
Korrekturhinweis: In einer früheren Version des Artikels stand, Michael Brzoska sei Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Hamburger Universität. Allerdings ist er seit fünf Jahren in Pension und nicht mehr Direktor.
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