Entscheidung über digitalen Euro: Die Neuerfindung der Währung
In dieser Woche will die Europäische Zentralbank über den digitalen Euro entscheiden. Deutsche Banken sehen Risiken.
Phase 1 ist beendet. Zwei Jahre lang hat die Europäische Zentralbank (EZB) überlegt, wie ein neuer, rein digitaler Euro aussehen könnte. An diesem Mittwoch will der Rat der Bank entscheiden, ob Phase 2 beginnt, ob das neue E-Bargeld eingeführt werden soll. Experten rechnen mit einem Ja. Der digitale Euro gilt als Prestigeprojekt. Doch Kreditinstitute sind skeptisch – unter anderem wegen der zusätzlichen Macht, die die Zentralbank bekommen könnte.
„Die deutschen Banken unterstützen den digitalen Euro grundsätzlich, aber wir sehen einige Risiken“, sagt Heiner Herkenhoff, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbands, in dem private Geldinstitute wie Deutsche Bank, Commerzbank und die niederländische Großbank ING organisiert sind. Da ist etwa die Sicherheit des Finanzsystems. Was für viele zu technisch klingt, betrifft aber doch alle, wie sich 2008 in der Finanzkrise zeigte. Damals drohte das Vertrauen ins Geld zu schwinden – mit unabsehbaren Folgen für Wirtschaft und Zusammenleben.
„Der digitale Euro könnte eine Art digitalen Bankrun auslösen, wenn alle Verbraucher im Fall einer Krise ihr Geld plötzlich abziehen wollen“, sagt Herkenhoff. „Das würde die Finanzstabilität der Euro-Zone gefährden. Die EZB muss hier vorsorgen.“ Und dann ist da noch so etwas wie die Sinnfrage: „Unklar ist bisher noch, was der digitale Euro den Verbrauchern genau bringt, außer einer weiteren Möglichkeit, zu bezahlen“, sagt Herkenhoff.
Rechtsrahmen für virtuelles Bargeld
Die Vorbereitungen für eine digitale Variante der europäischen Gemeinschaftswährung laufen seit Jahren, Ende Juni 2023 hatte die EU-Kommission ihre Vorschläge für einen Rechtsrahmen für den digitalen Euro vorgelegt.
Der digitale Euro wird eine Art Bargeld. Nur, dass er nicht als Schein oder Münze vorliegt, sondern virtuell. Auch sonst gibt es Parallelen. Wie klassisches Bargeld in einem Portemonnaie lässt sich der digitale Euro in einer digitalen Brieftasche (englisch: Wallet) aufbewahren. Scheine und Münzen soll der digitale Euro aber nicht ersetzen.
Eingeführt werden soll er, weil die Verbraucherinnen und Verbraucher zunehmend digital bezahlen. Dabei dominieren bisher US-Firmen wie die Kreditkartenunternehmen Mastercard und Visa oder Bezahldienste wie Apple Pay, Google Pay und Paypal. Zudem ist der digitale Euro eine Antwort der Euro-Zentralbanken auf den steilen Aufstieg sogenannter Kryptowährungen wie Bitcoin und Ether.
Der große Unterschied: Im Gegensatz dazu stünde ein digitaler Euro unter Aufsicht einer Zentralbank, die die Stabilität der Währung sichert. Die EZB will eine schnelle und sichere Möglichkeit anbieten, die beim Schuhhändler genauso funktioniert wie beim Bäcker – und ebenso anonym ist wie Bargeld. Es wäre eine einheitliche europäische Lösung, die es so bisher nicht gibt.
Sorge vor zu viel Macht
Technisch ist das alles höchst anspruchsvoll. Er wird voraussichtlich auf einer vollkommen neuen Infrastruktur basieren, die anders funktioniert als die bestehende, etwa für Karten. „Für den digitalen Euro arbeitet die EZB an einem einheitlichen europäischen Zahlungssystem. Parallel entwickeln auch die europäischen Geldinstitute ein solches System“, sagt Herkenhoff.
Die Sorge: Die EZB konzentriert zu viel Macht auf sich. „Wenn die EZB ein eigenes Zahlungsverkehrssystem aufbaut, wäre sie Notenbank, Aufsicht und Wettbewerber zugleich“, erklärt der Bankenverbandschef. Ganz unabhängig davon, wer das Zahlungssystem für den digitalen Euro aufbaut: Banken und Handel benötigen wohl künftig zwei Systeme, um klassische Zahlungen einerseits und die mit digitalem Euro andererseits abzuwickeln. Das kostet zusätzlich Geld.
Zudem fehlen den deutschen Banken wichtige Erkenntnisse. „Die EZB sollte dringend untersuchen, welche Folgen der digitale Euro für die Wirtschaft und die Stabilität des Finanzmarkts hat. Und zwar, bevor die Währung überhaupt eingeführt wird“, sagt Herkenhoff. Er fordert zudem eine breite politische und vor allem öffentliche Debatte.
„Das sehen wir bisher noch nicht.“ Man müsse genau erklären, was die Währung solle und wie sie funktioniere, sonst sei die Akzeptanz gering, sagt der Bankenverbands-Chef. Bei allem sei wichtig: „Es gibt auch weiterhin klassisches Bargeld. Die EU-Kommission hat das so festgelegt und das finden wir auch richtig.“
Beobachter erwarten, dass der EZB-Rat am Mittwoch entscheidet, die Einführung des digitalen Euro vorzubereiten. Offenbar sollen drei oder vier Notenbanken in Euro-Ländern federführend jeweils bestimmte technische Aspekte entwickeln. Auch die Bundesbank will dem Vernehmen nach in größerem Umfang dabei sein. Dann soll sich auch herausstellen, inwieweit die Banken und Sparkassen eingebunden werden.
Einführung dauert
Unklar ist bisher, wann der digitale Euro starten kann. Im Juni hatte die EU-Kommission ein entsprechendes Gesetz vorgelegt, die EU-Staaten und das Europäische Parlament müssen noch zustimmen. Das dauert. Und die EU-Parlamentswahl im kommenden Jahr könnte das Projekt noch verzögern.
Burkhard Balz, Vorstandsmitglied der Bundesbank, schätzt, dass der rechtliche Rahmen nicht vor Ende 2024 steht. Beim Hamburger Bankenaufsichtstag diese Woche sprach er davon, dass der digitale Euro vier bis fünf Jahre bis zur Marktreife braucht. Der Bankenverband rechnet frühestens mit 2028.
Die Arbeiten zu den Gestaltungsmerkmalen eines digitalen Euro seien „weitestgehend abgeschlossen“, führt Balz aus. Es zeichne sich unter anderem ab, „dass der digitale Euro auch in einer Offline-Variante zur Verfügung gestellt würde“, erklärte Balz. „Digitale Zahlungen blieben also auch dann möglich, wenn die Internet- oder Mobilfunkverbindung gestört wäre.“
Viele Zentralbanken weltweit arbeiten an digitalen Währungen. Auslöser war der US-Konzern Facebook, der mit Libra eine eigene digitale Währung herausbringen wollte. Die Notenbanken wollten das Thema nicht einem Unternehmen überlassen. Es begann eine Art Wettlauf untereinander und mit Libra: Wer schafft es als zuerst?
Facebook benannte Währung erst in Diem um und stieg dann 2022 aus – unter anderem unter dem Druck der US-Notenbank Fed. Seither planen Zentralbanken in vielen Ländern weiter, etwa in China, Indien, Ghana, Saudi-Arabien, Uruguay und den USA, aber mit abnehmendem Elan. Die EZB gehört zu denen, die die digitale Währung noch vorantreiben. Auf den Bahamas und Jamaika, in Nigeria sowie in Kambodscha gibt es bereits E-Bargeld.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen