Entscheidung über Sterbehilfe: Am Ende überwogen die Nein-Stimmen
Zwei Gesetzentwürfe zur ärztlichen Suizidhilfe sind im Bundestag gescheitert. So fehlt weiter Rechtssicherheit für Sterbewillige, -helfer und Ärzte.
Der Sound wurde mitunter recht pastoral. Noch nie habe sie so „voller Demut“ vor dem Bundestag gestanden, sagte Kathrin Helling-Plahr (FDP) bei der Vorstellung des liberalen Entwurfs zur Neuregelung der Suizidhilfe. „Ich mache mir Sorgen um die, die denken, ich falle anderen zur Last. Wir sollten ihnen zurufen: Jedes Leben in diesem Land ist etwas wert!“, erklärte Lars Castellucci (SPD), der den konservativen Gesetzentwurf präsentierte.
Beide konkurrierende Gesetzentwürfe zur Suizidhilfe, die jeweils aus fraktionsübergreifenden Gruppen von Abgeordneten kamen, gewannen am Donnerstag im Bundestag keine Mehrheit. Damit wird es vorerst keine neue gesetzliche Regelung zur Sterbehilfe in Deutschland geben. Ärzt:innen dürfen wie bisher Hilfe zur Selbsttötung leisten, solange die Freiverantwortlichkeit der Suizident:innen gewährleistet ist.
Castellucci sagte nach der Abstimmung, es müsse „unbedingt bald einen neuen Anlauf geben“. Es brauche Rechtssicherheit, Klarheit und Schutz für alle Beteiligten.
Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, bedauerte mit Blick auf Betroffene das Scheitern der Gesetzesinitiativen. Nicht nur Patient:innen, auch Ärzt:innen, Pflegekräfte und Einrichtungen hätten das Bedürfnis nach Klarheit, sagte Buyx dem Evangelischen Pressedienst (epd). Beide Anträge hätten nach Auffassung von Sachverständigen aber Schwächen gehabt, meinte Buyx.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bedauerte, dass „keiner der Anträge eine Mehrheit gefunden hat“. Dadurch bestehe zwar „keine komplette Rechtsunsicherheit“, es sei aber nicht ganz klar, wie sich die Situation jetzt für die Ärzt:innen darstelle. Er gehe davon aus, dass jetzt offene Fragen im Zusammenhang mit der Sterbehilfe, etwa zur ärztlichen Verschreibung todbringender Medikamente, von Gerichten geklärt werden müssten, sagte Lauterbach. Auch das Gesundheitsministerium müsse sich damit beschäftigen, wie die Abgabe von Pentobarbital geregelt werde.
In der Suizidhilfe in Deutschland ist die Anwendung des Medikaments Pentobarbital, das in anderen Ländern in der Sterbehilfe angewandt wird, verboten. Nur in extremen Ausnahmefällen gestatteten Verwaltungsgerichte in Deutschland bisher die Herausgabe des Medikaments. In beiden der am Donnerstag gescheiterten Gesetzentwürfe sollte das Betäubungsmittelrecht soweit geändert werden, dass die Verschreibung von Pentobarbital unter bestimmten Bedingungen gestattet worden wäre. Derzeit verwenden die Ärzt:innen in der Suizidhilfe Medikamentenkombinationen, deren Substanzen nicht verboten sind.
Hintergrund der beiden am Donnerstag abgestimmten Gesetzesinitiativen war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020. Das Gericht hatte entschieden, dass das bestehende Verbot der „geschäftsmäßigen“ Suizidhilfe, worunter auch die wiederholte Suizidhilfe durch Ärzte zu verstehen ist, verfassungswidrig sei. Jeder Mensch habe die Freiheit, sich das Leben zu nehmen. Diese Freiheit umfasse auch die Freiheit, „hierfür bei Dritten“ Hilfe zu suchen. Das Urteil räumte allerdings dem Gesetzgeber ein, zum „Schutz der Selbstbestimmung“ „Sicherungsmechanismen“ einzubauen. Daraus erwuchsen die Gesetzesinitiativen.
Der Entwurf der Gruppe um Castellucci und Ansgar Heveling (CDU) wollte die ärztliche Suizidhilfe grundsätzlich wieder unter Strafe stellen und nur gestatten, wenn bestimmte Vorbedingungen eingehalten würden. Dazu gehörte eine zweimalige Untersuchung durch Psychiater:innen oder Psychotherapeut:innen im Abstand von mindestens drei Monaten, um die „Freiverantwortlichkeit“ und „Selbstbestimmtheit“ des Entschlusses festzustellen und eine psychische Erkrankung auszuschließen.
Man könne die „Selbstbestimmung nicht voraussetzen“, verteidigte Castellucci die Bedingungen in diesem Gesetzentwurf. Menschen seien auch „Missbrauch“ ausgeliefert. Niemand solle sich „gedrängt fühlen“ zum Suizid.
Der Entwurf der Abgeordnetengruppe um Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Grüne) sah ebenfalls eine Beratungspflicht vor, aber durch unabhängige „Beratungsstellen“, die nicht unbedingt von Psychiater:innen oder Psychotherapeut:innen hätten besetzt werden müssen.
Die Beratungsstellen hätten keine Bewertungen abgegeben, aber einen Beratungsschein ausgestellt, der die Voraussetzung sein sollte für eine Verschreibung von Pentobarbital durch den Arzt. „Einen gegen die Autonomie gerichteten Lebensschutz darf es nicht geben“, hatte Helling-Plahr erklärt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene