Entschärfung des Nahostkonflikts: Die Vermittler-Lücke füllen
Die israelisch-arabische Annäherung zu fördern und neu zu definieren ist eine große Aufgabe. Für Deutschland und Europa ist sie wie maßgeschneidert.
E in Jahr nach der Unterzeichnung der Abraham-Abkommen steht der Normalisierungsprozess in der Nahostregion an einer entscheidenden Wegscheide: Er könnte die israelisch-arabischen Beziehungen grundlegend verändern – oder aber nur zu einer weiteren Fußnote in der langen Geschichte des israelisch-arabischen Konflikts werden.
So sind durch die Abkommen relativ erfolgreich Verbindungen zwischen Ministerien und Unternehmen in Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Bahrain entstanden. In nur einem Jahr sind die VAE zu einem der 20 wichtigsten Handelspartner Israels geworden. Außerdem haben sie ermöglicht, dass viele Israelis als Touristen in die Emirate gereist sind.
Dennoch haben die Abkommen bislang nicht die Erwartungen erfüllt, von denen ihre Architekten zum Zeitpunkt der Unterzeichnung geträumt hatten. Es hat keinen Dominoeffekt gegeben, durch den weitere Staaten der arabischen Welt ihre Beziehungen zu Israel normalisiert hätten, und es ist auch keine vereinte regionale Front gegen die militärischen Ambitionen des Iran entstanden. Vor allem hat sich die grundlegende öffentliche Wahrnehmung Israels und der Israelis in der arabischen Welt nicht gewandelt.
Zwei Gründe sind für das unerfüllte Potenzial hauptsächlich verantwortlich. Zum einen gibt die Regierung von US-Präsident Joe Biden den Verträgen nur geringe Priorität. Öffentlich unterstützen die USA den Normalisierungsprozess, aber Bidens Leute sind nicht sonderlich begierig, einen der bedeutendsten Erfolge Donald Trumps ins Rampenlicht zu rücken. Es gibt bis heute keinen Sondergesandten für den Normalisierungsprozess. Da offensichtlich geworden ist, dass die USA sich mehr und mehr aus dem Nahen Osten heraus halten wollen, fehlt für viele Staaten dort der Anreiz, ihr Verhältnis zu den USA zu verbessern, indem sie ihre Beziehungen mit Israel regeln.
Die Illusion zerbrach im letzten Krieg
Doch das Haupthindernis, die politische Landschaft des Nahen Ostens umzukrempeln, ist die Illusion, die von Anfang an in die Verträge eingewoben war: Die Beziehungen Israels zur arabischen Welt lassen sich nicht komplett vom israelisch-palästinensischen Konflikt abkoppeln. Einer der wichtigsten Beweggründe von Ex-Regierungschef Benjamin Netanjahu für die Abkommen war sein Wunsch, dass die Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts nicht länger als eine Bedingung für gute Beziehungen zur arabischen Welt vorausgesetzt wird.
ist Geschäftsführer der israelischen Denkfabrik Mitvim und war bis Anfang September Wissenschaftler der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Schwerpunkt seiner Arbeit ist die israelische Außen- und Sicherheitspolitik.
In den Monaten nach der Unterzeichnung schien die palästinensische Frage so weit an den Rand gerückt zu sein, dass über die Zukunft Israels im Nahen Osten das Geschehen in Abu Dhabi oder Manama entscheiden würde – und nicht das in Gaza oder Sheich Dscharrah. Diese Illusion zerbrach im letzten Krieg um Gaza. Die Eskalation im Frühjahr zeigte, dass sich zwar die Beziehungen zu den Golfstaaten verbesserten, der israelisch-palästinensische Konflikt gleichzeitig aber immer dramatischer in den israelischen Alltag drängte. Für die Abraham-Abkommen hatte es die Folge, dass der Normalisierungsprozess seinen Schwung verlor und seine Unterstützung in der arabischen Welt weiter schwand.
In dieser Situation könnten Europa und insbesondere Deutschland den Normalisierungsprozess aktiv unterstützen und auch seinen Kurs verändern. Europa sollte die Leerstelle füllen, die die USA zurückgelassen haben. Auch wenn es nicht die Absicht Trumps und Netanjahus war, könnte Europa den Prozess des Ausgleichs zwischen Israel und der arabischen Welt nutzen, um den Friedensschluss zwischen Israel und den Palästinensern voranzutreiben.
In einem ersten Schritt könnte Europa die an der Normalisierung beteiligten Staaten dazu bringen, die wirtschaftliche Entwicklung im Westjordanland und in Gaza zu fördern, und eine multilaterale Initiative fördern, an der Israel, die VAE und die palästinensische Autonomiebehörde beteiligt sind und die sich der langfristigen Entwicklung des Gazastreifens wie der wachsenden wirtschaftlichen Krise im Westjordanland widmet. In diesem Kontext könnte Europa helfen, die seit der Unterzeichnung der Abraham-Abkommen immer schlechter werdenden Beziehungen der VAE zur Autonomiebehörde zu verbessern. Dabei könnte auf der veränderten Haltung der Regierung von Jair Lapid und Naftali Bennett zur Autonomiebehörde aufgebaut werden.
Um einen langfristigen politischen Wandel herbeizuführen, sollte Deutschland die Rolle eines vertraulichen Vermittlers übernehmen und diplomatische Beziehungen zwischen Israel und arabischen Staaten fördern – im Gegenzug zu vertrauensbildenden Maßnahmen Israels gegenüber den Palästinensern. Deutschlands Außenminister Heiko Maas hatte sich schon als nützlicher Mittler eingeführt, als er Gastgeber des ersten Treffens der Außenminister Israels und der VAE war.
Interessant für Deutschland könnte auch die Bildung eines beratenden Forums für die zur Normalisierung bereiten arabischen Staaten – also auch Ägyptens und Jordaniens – und weiterer internationaler Akteure sein. Ein solches Forum müsste sich der Konfliktprävention im israelisch-palästinensischen Konflikt und dem Abbau der Spannungen in Jerusalem widmen. Eine solche Initiative könnte später zu einer Plattform für einen Neustart der israelisch-palästinensischen Verhandlungen entwickelt werden.
Die nächste deutsche Regierung sollte die israelisch-arabische Normalisierung zu einem zentralen außenpolitischen Ziel machen. Berlin hat in seinen Außenbeziehungen immer wieder wirtschaftliche Entwicklung als friedensfördernde Maßnahme eingesetzt, es hat erfolgreich hinter den Kulissen Diplomatie betrieben und stets das Konzept des Multilateralismus propagiert.
Niemand kann besser belegen, dass regionale Integration den Frieden fördert, als Deutschland und die Europäische Union.
Übersetzung: Stefan Schaaf
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