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Entschädigungen sind ungleich

Beim Bundeskanzler treffen sich heute erstmals die Konzernchefs, um über einen „Versöhnungsfonds“ für ehemalige Zwangsarbeiter zu beraten  ■ Aus Berlin Christian Semler

Der Bundeskanzler lädt heute zu einem Gespräch ein, das seit mehr als einem Menschenalter überfällig ist: Die Vorstandsvorsitzenden der größten deutschen Unternehmen beraten mit Gerhard Schröder über die Grundlinien eines „Versöhnungsfonds der deutschen Wirtschaft“. Sie beraten über die Errichtung einer Stiftung, aus der individuelle Zahlungen an die Zwangsarbeiter erfolgen sollen, die im Zweiten Weltkrieg Sklavenarbeit für die deutsche Industrie leisteten.

Kanzleramtsminister Hombach hatte am Wochenende mit deutschen Vorständlern Gespräche geführt, deren wesentliche Ergebnisse am Montag durchsickerten. Die Teilnehmer der Gespräche erklärten ihre generelle Absicht, eine Stiftung einzurichten, und sprachen über eine Entschädigungssumme in Höhe von 2,5 bis 3 Milliarden Mark. Außerdem bot diese Unterredung eine erfreuliche Nachricht für alle Zwangsarbeiter aus dem Osten Europas. Hombach und die Unternehmer haben sich auf die Formel geeinigt, daß die Entschädigung „unabhängig von Religion und Nationalität“ erfolgen solle. Damit ist klar, daß nicht nur die jüdischen Zwangsarbeiter Zahlungen erhalten werden.

Über die Höhe der Entschädigung für die einzelnen Zwangsarbeiter wurde taktisches Stillschweigen bewahrt, aber offensichtlich ist man sich darüber einig, daß die Summe von 10.000 Mark, die das Volkswagenwerk im Rahmen einer Sondervereinbarung über Zwangsarbeiter in der Rüstungsindustrie zahlt, als Basissumme gelten soll. Der Haken dieser Übereinkunft: Diese Zahlungen gelten nur für Zwangsarbeiter, die heute in der westlichen Hemisphäre leben. Den Schicksalsgenossen aus dem Osten ist nur ein Drittel bis ein Viertel der Summe zugedacht. Die Ursache solcher Ungleichbehandlung liegt auf der Hand. Die osteuropäischen Opfer und ihre Regierungen können nur moralisch argumentieren. Im Westen hingegen, vor allem in den USA, können Regierung, Aufsichtsbehörden und Verbände mit ihrer wirtschaftlichen Macht konkreten Druck ausüben und so den Opfern den Rücken stärken.

Zweierlei Maß führt zu zweierlei Reaktionen. Dies ist auch den Verfassern eines Grundsatzpapiers für das Kanzleramt nicht entgangen, in dem es heißt: „In Osteuropa läßt sich bereits in mehreren Ländern beobachten, daß der Anschein krasser Einseitigkeit in der Entschädigungsfrage sowohl anti- jüdische als auch antideutsche Gefühle erweckt, deren Virulenz mit Blick auf die gemeinsame politische Kultur im sich erweiternden Europa nicht unterschätzt werden darf“ (zitiert nach der Süddeutschen Zeitung vom 15. 2.).

Aus dem Bundeskanzleramt verlautete, die Bundesregierung selbst werde sich an dem „Versöhnungsfonds“ nicht beteiligen. Diese Feststellung widerspricht glatt einem Versprechen, das Schröder im vergangenen Jahr als Kanzlerkandidat abgegeben hat. Ein Zuschuß ist notwendig, denn aller Druck auf deutsche Unternehmungen wird voraussichtlich nicht dazu ausreichen, den noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeitern in Ost und West eine gleich hohe Zahlung zu gewähren.

Mißtrauen erweckt auch die Versicherung aus dem Kanzleramt, man werde die Erfahrungen nutzen, die Konstruktion und Arbeitsweise der bisherigen, unter der Kohl-Regierung begründeten Stiftungen für die sowjetischen Nachfolgestaaten und für Polen bereithielten. In keiner dieser Stiftungen haben die Opfer eine angemessene Vertretung, und die bisherige Praxis der Mittelverteilung läßt ein paar Fragen offen – vom Resultat, der durchschnittlichen Einmalzahlung von 500 bis 1.500 Mark, ganz zu schweigen.

Jahrzehntelang waren die Ansprüche der Zwangsarbeiter mit einem doppelten Argument abgewimmelt worden. Wer als deutscher Zwangsarbeiter klagte, dem wurde bedeutet, seine Ansprüche seien verjährt. Den ausländischen Arbeitssklaven wurde erklärt, sie müßten sich laut Londoner Schuldenabkommen bis zum Abschluß eines Friedensvertrages gedulden. Das warf die Frage auf: Ist das Zwei-plus-Vier-Abkommen eine Art Friedensvertrag? Das Bonner Landgericht und nach ihm das Bundesverfassungsgericht sorgten für Klärung: Sie sind es in Teilen. Daß damit im Prinzip der Weg der individuellen Klage eröffnet wurde, war sicher ein Grund dafür, daß die Unternehmen jetzt einer Stiftung zustimmten.

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