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Entschädigung für BetriebsschließungenGeldsegen für Wirte

Bis zu 40.000 Gastro-Betriebe waren vom Shutdown betroffen. Versicherer wollten den Schaden nicht abdecken. Vermutlich zu Unrecht, zeigt ein Urteil.

Wie in diesem, während des Lockdowns gesperrten Biergarten in München, sah es im April überall aus Foto: dpa

Berlin taz | Versicherungen kassieren gerne die Prämien, zahlen im Schadensfall aber nur ungern. Dieses Klischee sahen viele Restaurants und Unternehmen nach dem Shutdown im Frühjahr bestätigt – und zogen dagegen vor Gericht. Nun können sie hoffen: Auch wenn der Erreger Sars-CoV-2 im Vertrag nicht ausdrücklich genannt ist, müssen die Versicherer grundsätzlich zahlen. Das zeigt ein Urteil des Landgerichts München.

Im Namen vieler anderer Lokale hat etwa das Paulaner-Wirtshaus am Nockherberg gegen den Versicherungskonzern Allianz geklagt. Nach Ansicht von Rechtsexperten haben die Wirte nun gute Chancen auf einen Sieg vor Gericht. Das endgültige Urteil steht hier noch aus. Die Richterin entschied jedoch am Donnerstag in einem gleichzeitig laufenden Verfahren ganz klar. Eine Kita hatte ebenfalls auf Versicherungsleistungen geklagt, obwohl sie im Shutdown eine Notbetreuung angeboten hatte. „Die einschlägigen Versicherungsbedingungen setzten für den Eintritt des Versicherungsfalls jedoch eine vollständige Betriebsschließung voraus“, so das Gericht, das diese Klage abwies.

Die Richterin betonte jedoch auch, dass es auf den Vertrag ankomme. Denn der Passus zu Seuchen ist sehr unterschiedlich. „Bis zu diesem Frühjahr rangierten Gesundheitsrisiken auf der Rangliste der konkreten Befürchtungen weit abgeschlagen“, sagt Georg Abegg, Experte für Versicherungsrecht bei der Kanzlei Rödl & Partner. Erst beim Lockdown interessierte die meisten Versicherungskunden die Frage, ob sie gegen eine seuchenbedingte Betriebsschließung versichert sind.

Die Versicherer haben jahrelang keinen nennenswerten Aufpreis für die Abdeckung von Seuchenschäden verlangt, weil sie offenbar nicht mit ernsthaften Risiken rechneten. Während sie die Folgen des Klimawandels in den Dürrejahren im Detail durchspielten, waren Pandemie-Szenarien noch in der Mache.

Welche Seuche genau ist versichert?

Nun wird es für die Branche umso teurer. Statt den gewohnten vereinzelten Schadensfällen wegen Krankheiten – etwa eine gelegentliche Restaurantschließung wegen Salmonellen –, sieht sie nun einen Tsunami von Forderungen auf sich zukommen. Bis zu 40.000 Restaurants, Cafés und Hotels mussten den Betrieb zwischenzeitlich schließen, schätzt der Gaststättenverband Dehoga. Weil Versicherer trotz entsprechender Passus in den Policen nicht zahlten, sind allein an dem Gericht in München bereits 72 Klagen eingegangen, bundesweit könnten es tausende sein.

Der Streit betrifft nun auch die Frage, welche Seuchen unter welchen Umständen versichert sind. Beim Shutdown habe es oft gar keine Krankheitsfälle im Betrieb gegeben, argumentieren die Versicherer. Einige Versicherungsverträge verweisen auch auf Paragraf 7 des Infektionsschutzgesetzes, das eine lange Liste von meldepflichtigen Krankheiten enthält, die als Ursachen für den Versicherungsfall infrage kommen. Sars-CoV2 hat der Bundestag im Februar darin aufgenommen.

Welche Liste gilt?

Hieran entzündet sich nun oft der Streit zwischen Versicherern und Gastronomen. Gilt die Fassung zur Zeit des Vertragsabschlusses, zur Zeit der Betriebsschließung oder eine später aktualisierte Fassung? Ein anderer Streitpunkt betrifft die Frage, was eine Betriebsschließung ist. Manche Versicherer behaupten, nur die ausdrückliche, gezielte Schließung einer einzelnen Firma sei gemeint. Wenn ein ganzes Bundesland einen Lockdown verhänge, sei das etwas anderes. Das Landgericht Mannheim hat jedoch im April bereits geurteilt, solche flächendeckenden Betriebsschließungen sollten von der Versicherung abgedeckt sein. Diese Auffassung schütze die Rechte der Versicherten und sollte sich generell durchsetzen, fordert Experte Abegg.

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