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Entdeckungen für junge Le­se­rStaunen, Wünschen und Hoffen

Neue Kinder- und Jugendbücher von Peter Sís, Núria Tamarit und Antje Damm bieten Rüstzeug zur Welterkundung.

Szene aus Núria Tamarit: „Toubab. Zwei Münzen“ Foto: Verlag Reprodukt

Nicholas Winton war ein junger britischer Börsenmakler. Statt wie geplant im Winter 1938 Ski fahren zu gehen, überredete ihn ein Freund, nach Prag zu reisen. In der Stadt erlebte er mit eigenen Augen die dramatische Situation der Flüchtlinge, die vor der Wehrmacht aus dem Sudetenland geflohen waren.

Angesichts des drohenden Einmarschs der Deutschen in den übrigen Teil der Tschechoslowakei war Eile geboten. Das erkannte der junge Brite sofort. In seinem Hotel in Prag begann Nicky die Ausreise von 669 jüdischen Kindern nach England zu organisieren. Bis zum Sommer 1939 konnten diese in acht Zügen ohne ihre Eltern außer Landes gebracht werden.

Ein stiller Held

Der 1949 in Brno geborene Illustrator Peter Sís hat dieser außergewöhnlichen Tat ein berührendes Bilderbuch gewidmet. „Nick & Vera. Ein stiller Held des Holocaust und die Kinder, die er rettete“ erzählt von Nicholas Winton und auch von Vera Gissing, einem zehnjährigen Mädchen, das in einem dieser Kindertransporte allein nach England reiste.

Peter Sís’ feine Zeichnungen auf aquarelliertem Hintergrund sind unverwechselbar und zeitlos. Deutlich spürt man stilistische Einflüsse aus Ost und West. Der Trickfilmzeichner und Illustrator wuchs im Kommunismus hinter dem eisernen Vorhang in der Tschechoslowakei auf. Nach einem Auslandsaufenthalt in Los Angeles kehrte er 1984 nicht mehr zurück. In den USA wurde der berühmte Kinderbuchautor Maurice Sendak sein Mentor. Heute lebt Peter Sís in Irvington, New York.

Von Maurice Sendak beeinflusst: Peter Sís Foto: Gerstenberg Verlag

Sein aktuelles Bilderbuch beginnt mit Wintons Jugendjahren in einer philanthropisch geprägten, reformpädagogischen Schule. Gleich auf der ersten Doppelseite zeigt Sís den bebrillten Schüler als Ritter auf einer Taube reitend. In seinen Händen hält er ein Schwert und ein Schild mit dem Leitspruch „Put needs of others first – die Bedürfnisse anderer an erste Stelle setzen“.

Nicky & Vera

Peter Sís: „Nicky & Vera. Ein stiller Held des Holocaust und die Kinder, die er rettete“. Übersetzt von Brigitte Jakobeit. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2022, 64 Seiten, 18 Euro, ab 5 Jahren

Behutsames Erkunden

Auch die folgenden Seiten stellen die historischen Ereignisse in Form imaginärer, labyrinthhafter Landkarten dar, die ein behutsames Erkunden erlauben. Auf verschlungenen Wegen zeichnen die Aufsichten parallel auch Veras Kindheit nach, die in einer kleinen Stadt in der Nähe von Prag begann und auf dem Londoner Bahnhof endet. Dort steht das Mädchen allein in einem menschenleeren blauen Raum und trägt all ihre Erinnerungen in sich.

Peter Sís wählt eine Symbolik, die auch für ganz junge Menschen zu entschlüsseln ist. Gleichzeitig scheinen seine Illustrationen der kindlichen Vorstellungswelt verbunden geblieben zu sein. Verständlich ergänzt werden sie durch knappe Textpassagen zum historischen Geschehen.

Nicholas Winton erzählte nach dem Krieg niemandem von seiner bemerkenswerten Tat. Jahrzehnte später aber entdeckte seine Frau die Dokumente der geretteten Kinder in einer Kiste auf dem Dachboden. In einer Fernsehsendung des BBC kam es in der Folge zu einem überraschenden Zusammentreffen der nun erwachsenen Kinder mit ihrem unbekannten Retter, Nicholas Winton. Eine von ihnen war Vera Gissing. Auch diesen Moment hat Peter Sís auf seine ganz eigene Weise für Kinder festgehalten.

Teenager ohne WLAN

Núria Tamarit erzählt in ihrer Graphic Novel „Toubab. Zwei Münzen“ von der 17-jährigen Mar, die erstmals in den Senegal reist. Die Französin begleitet ihre Mutter in einen kleinen Ort am Meer, wo diese die Bewohner unterstützen wird, ein Gemeindehaus für eine Bibliothek und einen Radiosender zu errichten. Der Teenager freut sich auf das gemeinsame Abenteuer, doch bald ahnt sie, dass es auch bedeutet, die kommenden drei Monate ohne WLAN, mit wenig Privatsphäre und (trotz Menstruation) ohne fließend Wasser klarzukommen.

In „Toubab“ lässt die 1993 geborene Comiczeichnerin auch eigene Erfahrungen einfließen, die sie während eines humanitären Hilfseinsatzes im Senegal 2017 machen konnte. Überzeugend gelingt es ihr, der Perspektive der Heranwachsenden, ihrer Neugier, Ungeduld, Freundlichkeit und naiven Ignoranz in den in Gelb und Blau gehaltenen Zeichnungen Ausdruck zu verleihen.

Toubab. Zwei Münzen

Núria Tamarit: „Toubab. Zwei Münzen“. Aus dem Spanischen von Lea Hübner. Verlag Reprodukt, Berlin 2022, 128 Seiten, 20 Euro, ab 14 Jahren

Bald lernt die junge Französin die gleichaltrige Astou im Ort kennen. Während das Bauvorhaben der Mutter langsam Gestalt annimmt, geht die Tochter nun ihre eigenen Wege und verbringt viel Zeit an der Seite der neuen Freundin. Mit aufrichtigem Interesse füreinander und mit neuen Situationen konfrontiert, stellen die jungen Frauen dabei ihre Ansichten und Lebensentwürfe immer wieder gegenseitig infrage.

Mit großen Augen blickt Mar an der Seite von Astou in eine Welt, die sie überrascht, weil sie komplett anders funktioniert als ihre eigene Welt.

Vorbei an Häusern

Bereits in früheren Bilderbüchern inszenierte die Architektin und Kinderbuchautorin Antje Damm ihre lebendigen Bilderbuchgeschichten als dreidimensionale Bühne im Schuhkartonformat. In ihrem jüngsten Pappbilderbuch „Der Wunsch“ geht Damm noch einen Schritt weiter. Für die Erzählung arrangiert sie grob geschnitzte und in leuch­tenden Farben kontrastreich bemalte Figuren. Mit großer räumlicher Tiefe hält sie die wechselnden Szenen anschließend fotografisch fest.

Bild aus Antje Damm: „Der Wunsch“ Foto: Moritz Verlag

Ihr Buch „Der Wunsch“ handelt von Fips und seiner Großmutter. In dem bildstarken Buch spazieren sie Hand in Hand vorbei an Häusern, Landschaften, Menschen und Tieren. Dabei entwickelt die Großmutter eine Art Fragespiel. „Wenn Du Dir etwas wünschen dürftest, was wäre das?“

Der Wunsch

Antje Damm: „Der Wunsch“. Moritz Verlag, Frankfurt am Main 2022, 22 Seiten, 12 Euro, ab 3 Jahren

Stimmig fügt sich der Text in wackeligen Lettern auf jeder Doppelseiten ein. Woran denkt Oma wohl? Durch aufmerksames Betrachten lässt sich das nicht schwer erraten.

Vielleicht an einen Hund, ein Geschwisterkind oder daran zu fliegen wie eine Möwe? Langsam wird Fips ungeduldig. Er träumt von etwas ganz anderem – zusammen mit Oma. Und dieser Wunsch wird wahr.

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