Enkel arbeitet NS-Vergangenheit auf: Opa war ein Schreibtischmörder
Bruno Nette war während der NS-Zeit an der Verfolgung und Ermordung von über 800 Menschen beteiligt. In einem Buch arbeitet sein Enkel nun das gründlich auf
Lange Zeit galt er als Freund der Juden, der Bremer Gestapo-Beamte und Judenreferent Bruno Nette (1887-1960). Er war einer, der „human dachte und für viele Juden sein Möglichstes tat“, heißt es über ihn in dem 1986 veröffentlichten Grundlagenwerk „Bremen im 3. Reich“ von Inge Marßolek und René Ott. Doch das stimmt gar nicht. Davon erzählt das jetzt erschienene Buch „Vergesst ja Nette nicht!“ Verfasst hat es sein Enkel Bernhard Nette, ein pensionierter Lehrer, der als Historiker schon öfter über die Zeit des Nationalsozialismus geschrieben hat.
Bruno Nette war zwischen 1941 und 1945 an der Verfolgung und Ermordung von über 800 als jüdisch klassifizierten Menschen beteiligt – genaue Zahlen lassen sich nicht mehr ermitteln. Die meisten Opfer wurden nach Minsk oder ins KZ Theresienstadt verschleppt, nur ganz wenige unter ihnen kehrten zurück. Und Nette war einer derer, die diese Deportationen aus Bremen und dem Regierungsbezirk Stade organisiert haben, nach rassistischen Kriterien.
Viele Dokumente über Nettes Rolle im NS-Staat hat die Gestapo kurz vor Kriegsende hektisch verbrannt. Geblieben sind die Akten der Spruchkammer, die ihn zunächst als „belastet“ einstufte, sowie der Berufungskammer, die Nette 1950 zum „Mitläufer“ erklärte. Das war „ein Unding“, sagt der Rechtshistoriker Christoph Schminck-Gustavus von der Uni Bremen.
Knapp 85 Prozent der überlebenden ZeugInnen belasteten Bruno Nette seinerzeit „teilweise erheblich“, schreibt Nette in seinem Buch. Und die anderen 15 Prozent hätte er wegen der herannahenden Allierten „aus Eigennutz“ vorsichtiger behandelt. Die Opfer erinnerten sich an Beleidigungen, Drohungen und Schikanen bei den Verhören. Und daran, wie er gegen Menschen, die in „privilegierter Mischehe“ lebten, vorging und „Arier“ zur Scheidung von jüdischen Ehepartnern zwingen wollte. „Dazu kam seine fast pornografisch zu nennende Lust an der Verfolgung von „Rassenschande“, schreibt Bernhard Nette. Er selbst sah sich indes eher als einen korrekten Beamten.
Nette erfuhr erst 1987, dass sein Großvater der Bremer Judenreferent war. „In der Familie hat davon niemand erzählt“, sagt der Autor – sie habe ihn eher „missachtet“, schon weil er der einzige Nazi in der Familie war. Aber auch, weil er Frau und Kinder prügelte und ein „arger Wüterich“ war, wie der Enkel sagt. Er selbst hat übrigens nur wenig Erinnerungen an seinen Großvater. 1952 wurde er als Sechsjähriger von einer Bremer Milchfrau abgewiesen:„Nettes werden hier nicht bedient“.
Als er 2002 mit seinem eher sozialdemokratisch gesinnten Vater über dessen Vater sprach, verteidigte der ihn gleichwohl: „Mein Vater ein Nazi? Nein, das war er nicht. Was er tat, musste er tun“, sagte er, und dass Bruno Nette auch Skat mit den Juden gespielt habe.
Nach dem Krieg seien dann viele Juden „plötzlich aufgestanden“ und hätten seinen Vater bezichtigt, „ein großes Schwein“ gewesen zu sein. „Er musste das tun“, weil er sonst selbst ins KZ gebracht worden wäre, sagte der Vater kurz vor seinem Tod verteidigend. Für Bernhard Nette war sein „schreibtischmördernder Großvater“ jedoch einer der „NS-Gewaltigen Bremens“. Als 1941 die Juden vor der Deportation noch ihre Wertgenstände abgeben mussten, war der neue Judenreferent Bruno Nette einer, der damals die Aufsicht hatte.
Nach seinen dreijährigen Recherchen steht für den Historiker fest, dass Inge Marßolek und René Ott einst irrten: „Bruno Nette war kein humaner Mensch“. Vorwerfen will er den beiden HistorikerInnen ihr Fehlurteil aber nicht. Und auch Schminck-Gustavus sagt: Mit den Möglichkeiten und Akten, über die Bernhard Nette verfügte, „wären sie sicher auch zu einem anderen Ergebnis gekommen“. Nettes Buch sei „die Frucht einer neuen Zeit“, sagt Schminck-Gustavus – und ein „eindrucksvolles“ Werk.
Der Historiker Karl Heinz Roth nennt es eine „kompromisslos offene Suche nach der historischen Evidenz“, in welcher der Enkel nicht nur alle Abgründe auslote, sondern auch seine eigene Berechtigung zum Urteil immer wieder abwäge. Bernhard Nette will nicht mit seinem Großvater abrechnen, sondern den Opfern „eine Stimme zurückgeben“, wie er sagt.
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