Englische Euphorie vor der EM: Gefühlte Europameisterinnen

In England löst das eigene Team vor dem heimischen Turnier Begeisterung aus. Die Spielerinnen müssen mit den Erwartungen zurechtkommen.

Trainerin Sarina Wiegman zeigt mit der Hand in eine Richtung des Spielfelds

Wegweiserin Wiegman: die englische Trainerin soll das Team zum Titel führen Foto: ANP/imago

Wer eine Fußballmannschaft trainiert, muss immer auch die Erwartungen der Öffentlichkeit moderieren. In dieser Hinsicht hat Sarina Wiegman viel zu tun vor dem EM-Eröffnungsspiel am Mittwoch zwischen ihren Engländerinnen und Österreich im ausverkauften Old Trafford in Manchester. Die 52-jährige Niederländerin sagt zum Beispiel: „Es gibt viele Favoriten für dieses Turnier, und wir sind einer davon.“ Oder: „Wir schweben nach Siegen nicht auf einer rosa Wolke.“ Oder: „Wir sind in einer guten Verfassung, aber haben noch viel zu verbessern.“

Mit solchen Aussagen versucht die Trainerin die Euphorie einzudämmen. In England ist die Hoffnung riesig, dass das Team nach zuletzt drei Halbfinals – bei der WM 2015, der EM 2017 und der WM 2019 – vor eigenem Publikum zum ersten Mal ein großes Turnier gewinnt. Die Form der „Lionesses“ rechtfertigt den Optimismus. Unter der seit September 2021 amtierenden Wiegman gab es in 14 Spielen keine Niederlage. Die EM-Vorbereitung lief makellos. Es gab ein 3:0 gegen Belgien und ein 4:0 gegen die Schweiz, vor allem aber ein 5:1 gegen die Niederlande. Gegen jenes Land also, das 2017 die EM gewann – und zwar unter Trainerin Wiegman.

Dass sie bei den Engländerinnen das Kommando übernommen hat, ist für viele Experten der entscheidende Grund dafür, dass die Mannschaft stärker einzuschätzen ist als unter ihrem Vorgänger, dem engagierten, aber fachlich limitierten Phil Neville.

Außerdem hat der Kader der „Lionesses“ eine spannende Mischung aus erfahrenen Spielerinnen wie Abwehrchefin Millie Bright (FC Chelsea), Lucy Bronze (FC Barcelona) oder Rekordtorschützin Ellen White (Manchester City) und jüngeren Profis wie Kapitänin Leah Williamson (FC Arsenal) oder Georgia Stanway, die bald beim FC Bayern spielt. Die 21 Jahre alte Linksaußen Lauren Hemp von Manchester City wird in jeder EM-Vorschau als einer der Spielerinnen genannt, die beim Turnier groß auftrumpfen könnten.

Spiele mit England ausverkauft

Allerdings gibt es auch für die Engländerinnen Unwägbarkeiten. Die Erwartungen sind enorm. Das zeigt sich schon daran, dass neben dem Eröffnungsspiel im Old Trafford, bei dem 73.200 Menschen anwesend sein werden, auch die Gruppenspiele gegen Norwegen in Brighton und gegen Nordirland in Southampton ausverkauft sind. Für das Finale im Wembley-Stadion am 31. Juli gibt es längst keine Karten mehr.

Das englische Publikum hofft auf ein Sommermärchen nach dem Vorbild der Männer-EM im vergangenen Jahr, als England ins Endspiel kam. Die Frauen müssen damit leben, dass alles andere als der Turniersieg als verpasste Chance gewertet werden dürfte. Wie die Mannschaft mit diesem Druck umgeht, ist schwer einzuschätzen. Außerdem ließ sich in der Vorbereitung gegen Belgien, die Schweiz und die Niederlande eine beunruhigende Auffälligkeit feststellen. Die Mannschaft verschlief jeweils die erste Halbzeit und kam erst nach der Pause und mehreren Wechseln in Schwung.

Für einen Mitfavoriten sind bei England noch auffallend viele Fragen offen. Lässt Trainerin Wiegman ein 4-2-3-1 oder ein 4-3-3 spielen? Stellt sie Kapitänin Williamson in der Innenverteidigung auf oder im defensiven Mittelfeld? Spielt Rekordtorschützin White oder doch Alessia Russo von Manchester United oder Bethany England von Chelsea im Sturm? Auch der mögliche Weg durch das Turnier ist tückisch. Schon im Viertelfinale könnte es gegen Spanien gehen, den Favoriten der Buchmacher – oder gegen Rekord-Europameister Deutschland. Es kann nicht schaden, dass Sarina Wiegman versucht, die Euphorie zu dämpfen.

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