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England vor nächstem GruppenspielOrdentlich unter Druck

Die Titelverteidigerinnen aus England könnten gegen die Niederlande ausscheiden. Das Team spielte zuletzt oft schlecht, um dann wieder zu überzeugen.

Die englischen Spielerinnen beim Training vor dem Spiel gegen die Niederlande Foto: Leiting Gao/BSR Agency/imago

Seit Samstag verbinden die Engländerinnen mit dem Letzigrund in Zürich sehr unschöne Erinnerungen. Sicherlich, gegen Frankreich kann jedes Team verlieren. Aber bei der Bemessung des Eigenanteils am Schaden kam Trainerin Sarina Wiegman zu dem Schluss: „Wir haben schon unsere eigenen Probleme kreiert.“ Am Mittwoch müssen die amtierenden Europameisterinnen wieder zurück in den Letzigrund. Gegen die Niederlande, ein weiteres europäisches Spitzenteam, geht es darum, den Totalschaden abzuwenden.

Sollte England verlieren, kann die Rückreise gleich gebucht werden. In dem Fall bedürfte es einer Niederlage von Frankreich gegen den krassen Außenseiter Wales am späteren Abend in St. Gallen, um noch das Viertelfinale zu erreichen. Diese Option in Betracht zu ziehen, wäre mehr Fantasterei als Rechnerei.

„Wir haben die Gelegenheit, das wieder richtigzustellen.“ Wiegman wies unmittelbar nach der Auftaktniederlage auf die Möglichkeit des Neustarts hin. Vielleicht findet sie die Rückkehr nach Zürich gar nicht so schlecht. Der erste schlechte Eindruck könnte gleich an Ort und Stelle übertüncht werden.

Schwächen ausbessern

Als großen Lernprozess hat Wiegman die Partie gegen Frankreich beschrieben. Eine Lehre dürfte sein, dass ihre Außenverteidigerinnen im Züricher Leichtathletikstadion möglichst nicht mehr so häufig in Sprintduelle gezwungen werden können. Insbesondere Lucy Bronze tritt nach nun 135 Länderspielen schon altersbedingt (33) nicht mehr so schnell an. Die Französinnen konnten diese Schwachstelle markant offenlegen, weil das sonst so strukturierte Wiegman-Team im Mittelfeld extrem ungeordnet und fehlerhaft agierte.

Nach monatelanger Verletzungspause ist Georgia Stanway, die für den FC Bayern in der zweiten Saisonhälfte kein Spiel bestreiten konnte, von ihrer Bestform weit entfernt. Auch der dribbelstarken Lauren James fehlt der Spielrhythmus. Seit Anfang April hatte sie wegen einer Oberschenkelverletzung keinen Pflichtspieleinsatz mehr gehabt. Gegen Frankreich fiel die 23-Jährige anfangs zwar mit einigen gelungenen Offensiv­aktionen auf, interpretierte ihr Positions­spiel aber dann doch etwas zu freigeistig. Wiegman ärgerte sich generell über die schlampigen Zuspiele und Ballverluste im Mittelfeld.

Trotz all dieser offensichtlichen Baustellen wollte sich Sarina Wiegman nach der Auftaktniederlage nicht darauf festlegen lassen, mit einer anderen Startelf gegen die Niederlande aufzutreten. Die 55-Jährige, selbst Niederländerin, ist bekannt für ihre Neigung, in ihrem bevorzugten Gefüge so wenig Veränderungen wie nur möglich vorzunehmen. So dauerte es am Samstag eine Stunde, bis Wiegman sich dazu durchrang, neue Kräfte ins Spiel zu bringen.

Mehr Aufmerksamkeit, mehr Nachfragen

Danach gab es einige kritische Nachfragen zur Startelf vonseiten der englischen Presse. Wiegman, die die Niederlande (2017) und England (2022) zum EM-Titel führte, blockte sie mit größter Gelassenheit ab. Das alles sei vom Trainerteam vorab schon gut überlegt gewesen, erklärte sie. Vor der EM hat sie schon auf die neue Herausforderung aufmerksam gemacht. Lärm gebe es immer rund um so ein Turnier, sagte sie. Der Unterschied sei nun nur, dass die Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit des Fußballs der Frauen so gewachsen sei und damit auch die Anzahl der Journalisten. Zudem wurden 41.000 EM-Tickets auf der Insel geordert.

Der Lärm wird also schriller und der Druck noch größer. Dass England sich in der mit Abstand kompliziertesten Gruppe bewähren muss, spielt dabei keine Rolle. Am Sonntag erklärte Stürmerin Lauren Hemp der britischen Reporterschaft nach einem offenen Training, dass die Lionesses schon oft unter Druck aufgeblüht wären.

Das beschreibt allerdings nicht nur eine Qualität, sondern auch ein Problem. Den Europameisterinnen fehlt die Konstanz. Zuletzt haben sie sich häufig selbst mit schlechten Leistungen unter Druck gebracht, um danach wieder überzeugen zu können.

So war etwa im Februar die Katerstimmung groß, als es gegen Außenseiter Portugal nur zu einem Remis reichte. Fünf Tage später triumphierte man gegen Weltmeister Spanien. Im April rätselte man wiederum, wie das Team nur gegen Belgien verlieren kann. Vor der zweiten EM-Partie im Letzigrund grübeln nicht wenige in England, wie dieses Team den Rückschlag gegen Frankreich wegstecken kann. Es darf mit allem gerechnet werden.

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