England vor dem Achtelfinale: Zu euphorisch ins Kolumbien-Spiel
Die „Three Lions“ müssen gegen Kolumbien ran, sind aber voller Hoffnung. Dabei müssen sie sich jetzt erst beweisen – das weiß auch der Trainer.
Beinahe hat man den Eindruck, die Engländer seien schon weitergekommen. Eigentlich sind sie sogar schon im Halbfinale. Nach dem Sieg gegen Kolumbien im Achtelfinale am Dienstag in Moskau winkt als Preis ein Spiel gegen Schweden oder die Schweiz, so heißt es allenthalben. England ist also im Halbfinale. Das Drecksblatt Sun sieht den englischen Kapitän Harry Kane gar schon den Weltmeisterpokal in Händen halten.
Irgendwie wissen sie zwar schon dunkel, dass sie bis dahin noch zweimal gewinnen müssen, aber „vor Kolumbien haben wir doch keine Angst“, sagt Mittelfeldspieler Dele Alli. Und vor den kolumbianischen Fans, die einem in jeder WM-Stadt auf Schritt und Tritt begegnen, fürchten sie sich auch nicht. Zahlenmäßig können die englischen Fans da nicht mithalten.
7.000 Engländer sollen sich auf dem Weg nach Moskau befinden. Über 15.000 Kolumbianer sollen schon da sein. Sie alle wollen dabei sein, wenn für die Engländer die „Stunde der Wahrheit“ kommt, wie es Stürmer Harry Kane gesagt hat. Der hat schon fünfmal getroffen, weiß aber gewiss auch, dass das 6:1 gegen die Gurkentruppe von Panama nicht viel sagt. Und das 2:1 gegen Tunesien war in den ersten 45 Minuten zwar schön anzusehen, ist aber eben auch noch kein echter Maßstab gewesen. Erst jetzt wird es ernst.
Die von Gareth Southgate völlig neu orientierte Mannschaft steht vor ihrem ersten K.o.-Spiel. Seit 2006 haben die Engländer kein Endrundenspiel bei einer WM mehr gewonnen. Auch das könnte Ängste auslösen. Tut es aber angeblich nicht. Der Trainer sagt, „nach all dem Lob nach der souveränen Qualifikation müsste man jetzt endlich mal gegen eine große Mannschaft gewinnen“. Er hat alles auf das Achtelfinale ausgerichtet. Beim relativ bedeutungslosen Gruppenfinale gegen Belgien hatte er seine Startformation fast komplett auf die Bank gesetzt.
Ballbesitzfußball in der Krise
Nur drei seiner besten Elf liefen bei der Niederlage von Beginn an auf. War das vielleicht fahrlässig? Harry Kane fand die Entscheidung des Trainers, etwa ihn zu schonen, richtig: „Gegen Panama habe ich einen Hattrick erzielt. Das war mein letztes Spiel. So gehe ich in das nächste. Hätte ich gegen Belgien gespielt und hätte nicht getroffen, würde ich mit einem anderen Gefühl auflaufen.“ Ja, so kann man das schon sehen. Mal sehen, was dabei herauskommt. Ein Blick auf das bisherige WM-Turnier kann da durchaus nervös machen. Das Ausscheiden der Teams aus Spanien, Deutschland und Argentinien war ein Hinweis darauf, dass der Ballbesitzfußball nicht mehr zwingend zum Sieg führt.
Alles zur Fußball-WM der Frauen gibt es automatisch und kostenlos auch aufs Smartphone: Mit dem Telegram-Messenger bleibt ihr rund um die Uhr auf dem Laufenden: Mit einem Klick könnt Ihr unseren taz-WM-Channel vom Handy aus abonnieren.
Genau den aber hat Southgate der englischen Auswahl eingeimpft. Den klassischen englischen Arbeitsfußball gibt es nicht mehr. Seit Pep Guardiola in der Premier League arbeitet, hat Southgate sein Vorbild vor der Nase. Kann England zeigen, dass es mit seinen schnellen Angreifern, allen voran mit Kane, in der Lage ist, aus dem Passspiel heraus Tempo zu entwickeln?
Der Mannschaft wird das durchaus zugetraut. Southgate hat zudem das Glück, mit Kane nur einen einzigen sogenannten Superstar in seinen Reihen zu haben. Er musste kein kompliziertes Hierarchiegebilde entwickeln, er kann seine Jungs laufen lassen. Sein 3-3-2-2 mit zwei Stürmern und zwei sehr offensiven Außenspielern verspricht Spektakel. Das hatte man sich von Spanien auch versprochen. Auch die hatten in der Qualifikation und in der Vorrunde das Spiel aus dem Ballbesitz schnell gemacht. Im Achtelfinale waren dann aber plötzlich alle Räume zu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!