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Energiewende versus Naturschutz in TirolKlimaschutz mit Folgen

Im Skigebiet Kühtai soll ein Speicherkraftwerk erweitert werden. Dafür werden Täler und Flüsse in Stauseen verwandelt.

Ausbau des Speicherkaftwerks im Skigebiet Kühtai: gut für den Klimaschutz, schlecht für die Natur Foto: Michael Kristen/Imago Images

Kühtai taz | Keine Seilbahnen, keine Straßen, keine Baustellen, keine Hubschrauberflüge: Das 352 Quadratkilometer große Ruhegebiet „Stubaier Alpen“ in Tirol ist ein Ort ohne Lärm und zur Erholung – für die Menschen und die Natur. Denn die hat genau so einen Rückzugsraum gerade hier im dicht erschlossenen Tirol bitter nötig. Abschreckendes Beispiel ist das Ötztal, wo der Söldener Skizirkus die Wälder und Wiesen auf den Hängen in Richtung Rettenbach- und Tiefenbachgletscher längst zerstört hat.

Hart an der Grenze des Ruhegebiets liegt der Skiort Kühtai im Sellraintal. Auf 2.000 Meter Höhe thront hinter dem Dorf ein Stausee, der Speicher ­Finstertal, der 1981 durch einen 150 Meter hohen Wall aufgestaut wurde. Er speichert Wasser und erzeugt Strom. Die Anlage soll nun um ein zweites Pumpspeicherkraftwerk – Kühtai – und einen neuen Speichersee im benachbarten Längental erweitert werden.

Kühtai ist bereits verbaut, hier gibt es neben der Kaiser-Bergbahn bereits fünf Sessel- und sechs Schlepplifte. In Längental fließt jedoch noch ein weit­gehend natürlicher Gebirgsbach. Grüne Weiden ziehen sich die Hänge hoch, Kühe und Haflingerpferde laufen frei herum.

Naturschützer und Anrainer sind entsetzt über die Planungen: „Es ist skandalös, wie wieder einmal über unsere Köpfe hinweg so ein Riesenprojekt durchgesetzt wird“, schimpft Günther Schöpf aus Gries. In Neustift im Stubaital sprachen sich in einer Volksbefragung 85 Prozent gegen das Projekt aus.

Kraftwerksausbau verwandelt das gesamte Tal in einen See

Vorgesehen ist ein 25 Kilometer langer unterirdischer Stollen, der das Wasser verschiedener Gletscherbäche aus einem weiträumigen Gebiet in den Stubaier Alpen aufsammeln und in den neuen Speicher einleiten soll. Der Staudamm wird als Steinschüttdamm mit einer zentral liegenden Erdkerndichtung errichtet und wird 113 Meter hoch sein. Die Erweiterung des Kraftwerks würde das gesamte Tal in einen See verwandeln.

Die Tiroler Wasserkraft AG (Tiwag) hat bereits mit dem Bau begonnen, obwohl viele Bauern noch gar keine Verträge haben. Die Kosten des Projekts betragen über 800 Millionen Euro.

Die Tiwag argumentiert betriebswirtschaftlich: Das bestehende Pumpspeicherkraftwerk soll effizienter werden. Bei einem privatisierten Wasserbetrieb würde man auch nichts anderes erwarten – aber die Tiwag gehört zu 100 Prozent dem Land.

Energiewende versus Naturschutz

Es ist der bekannte Konflikt zwischen Energiewende und Naturschutz: Die Tiro­ler Regierung ist in der Pflicht, die Energiewende in Österreich mitzutragen und umzusetzen. Deshalb seien die geplanten Projekte in der Umweltverträglichkeitsprüfung 2014 „schlicht durchgewunken“ worden, sagt die ­Bürgerinitiative „Wilde Wasser erhalten Tirol“. Das Tiroler Naturschutzgesetz sei eigens geändert worden, um das Großprojekt zu ermöglichen.

Auch die deutschsprachigen Alpenvereine wehren sich gegen das Projekt. Nach wiederholten Beschwerden hat das österreichische Bundesverwaltungsgericht als höchste Instanz die Umweltverträglichkeit des Vorhabens im Frühsommer allerdings erneut bestätigt.

Die Alpenvereine suchen nun mit der Kampagne #unserealpen den Weg in die Öffentlichkeit. Sie wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, wie schön und notwendig die Naturräume sind und wie Natur- und Klimaschutz zusammengehören.

Im Sulztal wäre ein nahezu unberührter Flusslauf betroffen – „ein natürliches, verzweigtes Fließgewässer, wie es in Tirol rar geworden ist“, erklärt ­Tobias Hipp vom DAV. Wenn ein Großteil des Wassers zudem auch noch abgeleitet würde, könnte auch die lokale Landwirtschaft ein Problem bekommen.

Verheerende Folgen für Fließgewässer

Was das alles denn mit einer nachhaltigen Energieerzeugung zu tun habe, fragen sich Naturschützer und Experten. Dass Wasserkraft in der Regel eine saubere Lösung sei, sei ein Mythos. „Die ökologischen Folgen für Fließgewässer sind verheerend“, warnt Anna Schöpfer, Gewässerökologin von der Universität Innsbruck: „Die schwankenden Pegel verursachen für viele Wasser­lebewesen enormen Stress.“ Das kann dazu ­führen, dass Fische sprichwörtlich auf dem Trockenen liegen oder nicht mehr ablaichen. „Dadurch sind manche Arten bereits vom Aussterben bedroht.“

Laut WWF ist die Zahl der im Süßwasser lebenden Arten seit 1970 weltweit bereits um drastische 83 Prozent zurückgegangen.

Drohen gar größere Gefahren?

Doch auch das von den Betreibern häufig vorgebrachte Argument, dass Stauseen einen flexiblen Umgang mit großen Wassermengen erlauben und so vor Hochwasser schützen, stellen Hydrologen und Ingenieure in Frage. Einige sehen sogar die Gefahr, dass die geplanten Wehre und die Reduzierung des Wasservolumens sowie die daraus folgenden Veränderungen des Bachbetts bei Hochwasserereignissen zu einer größeren Gefahr würden.

In der öffentlichen Diskussion kommt den Betreibern jedoch zugute, dass die Veränderungen des Fließgewässersystems hochkomplex sind und von kaum jemandem verstanden werden. „Der Fluss kann ausufern und sich ein neues Bett suchen. Diese Katastrophen sind in Tirol hinreichend bekannt“, erklärt Hochwasserschutz-Ingenieur Uwe Merkel.

Auch in Sachen Skigebiete gibt es immer neue Versuche, bestehende Anlagen zu erweitern. Hier stecken die auch als Naturschutzorganisationen tätigen Alpenvereine im selben Dilemma wie die Tiroler Grünen: Klimaschutz und Naturschutz sind gleichwertige, miteinander zusammenhängende Ziele. Angesichts der aktuellen Debatte und der Aufmerksamkeit für den Klimaschutz gerät die Natur bei Konflikten allerdings immer wieder ins Hintertreffen.

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3 Kommentare

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  • Wer A sagt, muss auch B sagen. Der Öko-Zappelstrom wird noch sehr, sehr viel mehr Speicherseen verursachen. Technisch gibt es dazu keine Alternativen.

  • >Dilemma ...Klimaschutz und Naturschutz sind gleichwertige, miteinander zusammenhängende Ziele. .... gerät die Natur bei Konflikten allerdings immer wieder ins Hintertreffen.<



    Ohne jede Ortskenntnis mal gefragt:



    Kann man ein Teil des Wassers in den Bachbetten lassen, damit sie nicht völlig trocken fallen?



    Und könnte nicht ein großer Teil der riesigen, neu entstehenden Wasseroberfläche mit schwimmenden, begrünten Inseln bedeckt werden? Sie folgen dem Wasserstand problemlos und könnten Heimat vieler Wasservögel und Bodenlebewesen sein.

  • 6G
    61321 (Profil gelöscht)

    Eine Energiwende, die nicht 25-30% Energieeinsparung (absolut) als eines der primären Ziele projektiert, ist keine Energiewende, egal was sonst für Purzelbäume geschlagen werden