Energie Cottbus in der vierten Liga: Energisch weggeschaut
Bei Energie Cottbus haben lange Zeit rechtsextreme Gruppen die Kurve beherrscht. Die haben sich aufgelöst – aber die Nazi-Fans sind immer noch da.
Meyer ist der Geschäftsführer der Jugendhilfe Cottbus, die das Fanprojekt von Energie Cottbus betreut. Und er will seinen Angestellten ermöglichen, in einem hochbrisanten Konflikt vermittelnd zu arbeiten. Denn in der Fanszene des Regionalligisten hat sich seit Monaten eine von Gewalt und Angst geprägte Atmosphäre etabliert, die spaltend wirkt.
Die Fangruppierungen Inferno und Unbequeme Jugend Cottbus, die im Visier des Verfassungsschutzes Brandenburgs stehen, weil etliche Mitglieder mit rechtsextremen Netzwerken in der Lausitz verbunden sind, haben die sportliche Talfahrt des Vereins und die damit verbundene Verkleinerung der Anhängerschaft mit dem Anspruch verknüpft, den Ton in der Kurve anzugeben.
Als sich beim Auswärtsspiel in Bautzen Ende März Energie-Anhänger mit Sprechchören gegen die randalierenden Rechtsextremisten im eigenen Block wenden, reagieren diese mit Gewalt. Es geht um die Etablierung einer neuen Hackordnung. Beim nächsten Gastspiel bei Viktoria Berlin versuchen Inferno-Vertreter vor dem Stadion mit Gewaltandrohungen die Energie-Anhängerschaft auf Linie zu bringen. Das haben verängstigte Fans den Postdamer Neuesten Nachrichten (PNN) und dem RBB anvertraut.
Hitlergruß im Gästeblock
In Babelsberg setzten dann Ende April Inferno und Co das nächste Markenzeichen. Im Gästeblock wurde mehrfach der Hitlergruß gezeigt, „Arbeit macht frei, Babelsberg 03“ oder „Zecken, Zigeuner und Juden“ skandiert und mit einem Platzsturm beinahe der Spielabbruch provoziert.
Für zusätzliches Aufsehen sorgte hernach die Veröffentlichung einer Recherche von PNN und RBB. Infolge des Berichts über das kriminelle Netzwerk und die „rechten Mafiastrukturen“ in Cottbus gab die Gruppierung Inferno via Facebook ihre Auflösung bekannt. Man wollte wohl damit staatlichen Ermittlungen zuvorkommen.
Wirklich neu sind die Erkenntnisse allerdings nicht. Jörn Meyer vom Fanprojekt sagt, dass man ja schon seit Jahren mit diesen Problemen zu kämpfen habe. Die Lausitzer Rundschau berichtete schon 2012 von den Verbindungen Cottbuser Fans zur Kampfsportszene und zu organisierten Rechtsextremisten. „In der Qualität des Konflikts gibt es allerdings eine neue Dimension, wenn Fans von anderen nur unter Drohungen ins Stadion gelassen werden“, sagt Meyer.
Politik des Wegschauens
Seit diesem Vorfall ist es recht still geworden im Cottbuser Stadion. Die Fans haben ihre Unterstützung aus Angst weitgehend eingestellt. „Im Sommer werden wir Gruppenmediationsgespräche führen“, erklärt Meyer. Man müsse die schwierige Situation als Chance begreifen.
Doch kann man zwischen offen rechtsextremistischen Fans und anderen vermitteln? In Cottbus verfolge man den Ansatz der „akzeptierenden Jugendarbeit“, erläuterte im Februar Fanprojektmitarbeiter Martin Bock der taz. Akzeptanz sei der Grundstein, um erfolgreich Fehlverhalten kritisieren zu können. Diese Hoffnung hat nun einen herben Dämpfer erhalten.
Der Verein dagegen verfolgte über viele Jahre eine Politik des Wegschauens, da der eigene Einfluss am Stadionzaun ende. Der damalige Pressesprecher Lars Töffling erklärte: „Wir verlassen uns auch auf einen gewissen Selbstreinigungsprozess in der Fanszene.“
Polizei und Ermittlungsbehörden gefordert
Der derzeitige Energie-Präsident Michael Wahlich grenzt sich zwar wesentlich deutlicher von der rechtsextremen Anhängerschaft ab als seine Vorgänger, sagt jedoch auch, dass der Verein letztlich machtlos sei. Er sieht die Verantwortung bei der Polizei und den Ermittlungsbehörden.
Die Strategien des akzeptierenden Hin- und Wegschauens haben in Cottbus ihre Grenzen aufgezeigt bekommen. Ermutigend ist indes sicherlich auch für die Arbeit des Fanprojekts, dass die Zivilcourage, wie sie sich in Bautzen unter den Cottbuser Fans gezeigt hat, das Fundament für einen Neuanfang sein könnte. Die Anhänger, die in Cottbus unterdrückt werden, müssten geschützt und gestärkt werden, sagte Fanforscher Robert Claus dem RBB.
Angesichts der jahrelangen massiven Probleme erstaunt die Unprofessionalität einiger Akteure. Vor dem Hochsicherheitsrisikospiel in Babelsberg verzichtete man beispielsweise bei den Sicherheitsbesprechungen auf das Insiderwissen des Fanprojekts. Nicht jeder Einsatzleiter der Polizei, kommentiert Meyer, nehme die Arbeit seiner Angestellten ernst. Erbost ist er darüber aber nicht. Sozialpädagogen, sagt er, würden ja lieber loben als kritisieren.
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