Endlich Neujahr: Die kleine Chance
„Das schlimmste Jahr seit Langem“ ist vorbei. Damit das nun beginnende 2017 besser wird, hilft nur eines: Freundlichkeit.
Wenn ich mich so im Kreis der wenigen noch lebenden Bekannten umhöre, mache ich die überraschende Erfahrung, dass viele mit dem abgelaufenen Jahr unzufrieden sind.
„Zu viel Krieg“, klagen die einen, „zu viel Terror“ die anderen. Dritte geben zu bedenken, dass sich das Internet längst als darwinistisches Eigentor vom Kaliber jenes flugunfähigen und viel zu fetten Vogels erwiesen hat, und die Menschheit über die Zwischenhalte Aggression, Hass und Wahnsinn zum Endbahnhof Untergang befördert. Und zwar ohne Verspätung und mit Platzreservierung.
Den Vierten sind heuer wiederum zu viele Musikanten gestorben. Doch damit muss man bei denen immer rechnen: Das sind nun mal Leute, die oft nicht besonders gesund leben. Drogen, fettes Essen, zu wenig Gemüse, zu viele undefinierbare Geschlechtspartner und auch die gewissenhafte Einhaltung der Nachtruhe ist eher die Ausnahme denn die Regel.
Das Jahr 2016 sei jedenfalls das „schlimmste Jahr seit Langem“ gewesen, schallt es relativ unisono durch die arg gelichteten Reihen, „ein Katastrophenjahr“, „hoffentlich bald zu Ende“ und das neue könne ja nur besser werden.
Hypokrit
Nun fragt man sich schon, worauf sich die Hoffnung gründen soll. Aber eine kleine Chance gibt es natürlich: Vielleicht merken diejenigen, die Terror, Krieg und Tod verbreiten, endlich mal, dass sie mit dieser Methode kaum Sympathie für ihre ohnehin fragwürdigen Anliegen zu wecken vermögen. Vor allem die Opfer schalten dann ganz schnell auf stur. „Tötest du das Huhn, so tötest du auch das Ei“, wusste bereits Hypokrit. Anschläge sind nachweislich extrem unbeliebt.
Ein ebenfalls denkbares Ziel der Täter, nämlich einfach alle umzubringen, dürfte hingegen an der schieren Masse scheitern, auch wenn die Experten speziell in Syrien wirklich ihr Bestes gegeben haben.
Jede mittelprächtige Werbeagentur würde doch nun angesichts des ausbleibenden Erfolgs der Kampagne die Strategie ändern, sofern sie nicht vollkommen irre ist. Und da wir das vom Personal des „IS“ natürlich keinesfalls annehmen, denke ich mir, dass sie es eines Tages checken müssen: Die Peitsche hat versagt, jetzt gibt es Zuckerbrot. Vielleicht 2017 einfach mal heiße Suppe an die Bedürftigen verteilen. Den Mitmenschen die Kaufhaustür aufhalten.
Der Schlüssel heißt Freundlichkeit: Oft bewirkt selbst ein kleines Lächeln Wunder; es pflanzt sich fort und macht dann für viele den Tag ein bisschen heller, selbst im Winter. Es muss gar nicht immer Mord sein. Frauen reagieren auf einen Blumenstrauß deutlich weniger gereizt als auf ein Säureattentat. Nur Mut, Freunde, versucht es einfach mal: Euch fällt dabei schon kein Zacken aus der Krone!
Überdramatisierung
Doch woher kommt diese präapokalyptische und von keiner Statistik getragene Überdramatisierung von 2016? Vielleicht ist es das schlechte Gewissen der gesellschaftlichen Mitte. Denn erst kamen die Bilder, dann kamen die Menschen, und danach blieben die Menschen weg, doch man wusste genau, dass man sie mal wieder verraten hatte.
Nach den Maßstäben dieser Mitte wäre es unterbewusst nur fair, wenn eine höhere Instanz ihr nun die Rechnung präsentieren würde. In Form der scheinbaren Apokalypse.
Fast möchte man da die originär (Unge-)Rechten beneiden um ihren guten Schlaf, der ihnen geschenkt wird vom festen Irrglauben daran, dass ihnen ihre Privilegien tatsächlich zustehen, weil sie ihnen von Gott oder Hitler oder ihren Eiern verliehen wurden. Die werden natürlich ein großartiges Jahr 2017 erleben, so oder so.
Denn wie heißt es schon bei Lars von Trier („The Kingdom“): Die Guten werden weinen und die Bösen werden lachen.
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