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Küchenschluss

Das Kopenhagener Noma gilt als bestes Restaurant der Welt. Nach zwanzig Jahren kündigt der Chef nun das Ende des regulären Restaurantbetriebs an. Eine Entscheidung, die viel über die Gastrobranche aussagt

Kopenhagen, 2011: Küchenchef René Redzepi guckt aus der zweiten Reihe mit strengem Blick auf das 500-Euro-Essen Fotos: Christian Als/laif

Von Aida Baghernejad

Es rechne sich einfach nicht mehr. So erklärt René Redzepi, Mitgründer und Chef des Noma in Kopenhagen, auf der Webseite des Restaurants und in der New York Times dessen Schließung – oder besser gesagt Transformation – zum Ende des Jahres 2024. Es sei trotz Menü-Preisen von rund 470 Euro exklusive Getränken nicht möglich, allen Mit­ar­bei­te­r*in­nen faire Löhne zu zahlen und erfolgreich zu wirtschaften. Daher werde sich das Lokal zu einem kulinarischen Experimentallabor weiterentwickeln, das sich der Entdeckung neuer Geschmackshorizonte widmen möchte.

Drei Sterne, zahlreiche Auszeichnungen als „bestes Restaurant der Welt“ von verschiedensten Restaurantführern, mehrere Publikationen und popkultureller Einfluss über die Grenzen des eigenen Lokals hinaus: Redzepi und sein Noma waren nicht nur ein Gastronomiebetrieb, sondern ein Phänomen. Gemeinsam mit Mitgründer Claus Meyer entwickelte Redzepi das Konzept der „New Nordic Cuisine“ mit einem Fokus auf lokale, saisonale Küche, dem Sammeln von Wildkräutern und anderen Zutaten und Techniken wie Fermentation und Haltbarmachung. Damit bildeten sie einen Gegenpol einerseits zur klassischen Spitzenküche mit deren Fokus auf ausgewählte Spitzenzutaten, die auch gerne eigens eingeflogen werden, aber auch zum Chemiebaukasten Molekularküche mit ihren Schäumchen, Spheren und Kügelchen.

Es liegt auch am Noma, dass heute auch in Berlin oder Hamburg kaum ein Spitzenrestaurant ohne Erzählung von der engen Bindung zu den Land­wir­t*in­nen auskommt, dass die althergebrachte Technik der Fermentation zum globalen Küchentrend geworden ist und Pilzesammeln zum angesagten Herbsthobby genussaffiner Groß­stadt­be­woh­ne­r*in­nen geworden ist.

Sollte derart allumfassender Einfluss nicht ausreichen, um die Rechnungen zu bezahlen? Die Wahrheit ist leider komplexer.

Zum einen könnte man die Entscheidung, das Ende des Restaurants und seine Wiedergeburt als „Experimentallabor“ als Marketingentscheidung verstehen. Denn auch in Zukunft als „noma 3.0“, wie Redzepi die nächste Entwicklungsstufe des Restaurants nennt, wird es weiterhin die Gelegenheit geben, dort zu essen. Doch die jetzt schon raren Tische, die man Monate im Voraus reservieren muss, werden noch stärker eingeschränkt. Redzepi kündigte Pop-ups an verschiedenen Orten der Welt sowie unregelmäßige Veranstaltungs- und Dinnerreihen im Kopenhagener Hauptquartier an. Hinzu kommt höchstwahrscheinlich das lukrative Geschäft privater Essen und Catering für gutbetuchte Gäste. Die weitere Limitierung des Zugangs dürfte auch mit einer Steigerung des Preises einhergehen.

Die Entwicklung zu einer Art Testküche ermöglicht es zudem, noch stärker globale vermarktbare Produkte zu entwickeln. Dass es das kann, hat das Noma bereits 2018 mit einem eigenem Fermentationshandbuch bewiesen. Im vergangenen Herbst erschien ein Hybrid aus Kochbuch und Kreativratgeber namens „Noma 2.0“.

Wie man mit solchen Produkten ein ganzes Imperium schaffen kann, hat Fernsehkoch Jamie Oliver bereits bewiesen. Auch wenn es eher unwahrscheinlich ist, dass in naher Zukunft „Noma“-Pestos und Tomatensaucen ins Supermarktregal einsortiert werden. Weitere Bücher oder digitale Workshops sind durchaus vorstellbar, denn Redzepi hat in seiner Ankündigung auch erwähnt, ihre Arbeit zugänglicher denn je zu machen.

Die Entscheidung, das Noma als Restaurant zu schließen, ist also aus Marketingperspektive nachzuvollziehen. Doch ausschlaggebender dürften andere Punkte gewesen sein: die Struktur der Spitzengastronomie als solche sowie die Probleme, denen der Gastronomiesektor durch Pandemie und steigende Kosten ausgesetzt ist.

Bei Preisen im mittleren dreistelligen Segment pro Person ist es kaum vorstellbar, dass Fine Dining am wirtschaftlichen Minimum operiert. Doch der Arbeitsaufwand und die damit zusammenhängenden Personalkosten lassen Spitzenküche zu einem wenig profitablen Geschäft werden. Gerade wenn, wie im Fall des Noma, auch eigener Anbau und eine permanente Weiterentwicklung Teil der Unternehmens­philosophie sind.

Die Küche ist ein heftiges Geschäft. Serien wie „The Bear“ oder Filme wie die Gesellschaftssatire „The Menu“, aber auch die über zwanzig Jahre alten Küchenmemoiren von Anthony Bourdain zeigen das virulente Problem von Machtmissbrauch in Küchen. Der äußert sich nicht nur in einem harschen und oftmals auch abwertenden Umgangston, sondern auch in körperlichen Übergriffen, sexualisierter Gewalt und weit verbreitetem Substanzmissbrauch. Hinzu kommen geringe und teilweise auch gar keine Entlohnung.

Auch das Noma führte erst im vergangenen Herbst ein Gehalt für Kü­chen­prak­ti­kan­t*in­nen ein, zuvor wurden nur Unterstützung für das Erlangen des nötigen Arbeitsvisums gewährt. Bis dahin waren unbezahlte Praktika an der Tagesordnung und sind es auch heute noch in vielen vergleichbaren Betrieben. Diese Prak­ti­kan­t*in­nen sind üblicherweise ausgebildete Köch*innen, die einen reibungslosen Küchenbetrieb erst ermöglichen und für die ein Praktikum im Noma oder einem der anderen weltweit führenden Restaurants ein Karrierebooster sein kann. Allerdings einer, für den sie selbst aufkommen müssen.

Die Entscheidung, nach zwanzig Jahren endlich auch diese Arbeitskräfte zu entlohnen, hat laut New York Times die laufenden Kosten des Noma um 50.000 Dollar monatlich erhöht. Ein Kostenfaktor, der vielleicht im Normalbetrieb noch aufzufangen wäre, doch die Pandemie und die aktuellen weltweiten Kostensteigerungen haben ihre Spuren in der Gastronomie hinterlassen.

Es liegt auch am Noma, dass heute auch in Berlin oder Hamburg kaum ein Spitzenrestaurant ohne Erzählung von der engen Bindung zu den Land­wir­t*in­nen auskommt, dassdie althergebrachte Technik der Fermentation zum globalen Küchentrend geworden ist und Pilzesammeln zum angesagten Herbsthobby genussaffiner Groß­stadt­­­­bewohne­r*in­nen geworden ist

Während Pandemiezuschüsse und Wirtschaftshilfen zahlreichen Unternehmen halfen, die Lockdowns zu überstehen, führt ein Mix aus Personalmangel, geringerer Kauffreude beim Publikum und rapide gestiegener Kosten zu wirtschaftlichen Herausforderungen für viele Betriebe.

Die deutsche Branchenvereinigung Dehoga etwa spricht von einem „Krisen-Cocktail“, der sowohl Gäste wie auch Gast­ge­be­r*in­nen verunsichere. Auch international zeigt sich Unsicherheit: Im reichen Kalifornien etwa berichtet der San Francisco Chronicle von einer richtigen Schließungswelle in der gehobenen Gastronomie.

Ganz so weit geht die Entscheidung des Noma nicht und auch muss dort voraussichtlich niemand um seine Existenz fürchten. Doch die Entscheidung des einflussreichen Gastrotempels zeigt, dass die Probleme der Branche niemanden unberührt lassen. Auch das „beste Restaurant der Welt“ nicht.

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