Ende des Grünen-Parteitags: Konflikte lieber im Stillen
Geschmeidig klären die Grünen Dissens lieber hinter den Kulissen. Fraglich ist, ob die eigenen Grundsätze so noch sichtbar bleiben.
L aut Zeitplan wäre der Grünen-Parteitag eigentlich schon vorbei gewesen, als es zum ersten mal knallte. Am Sonntagnachmittag diskutierte die Partei über Kohle, Klima und das Dorf Lützerath – und das zum ersten mal an diesem Wochenende in einer wirklich kontroversen Debatte. Zum ersten und einzigen Mal endete eine Diskussion auch in einer Abstimmung, deren Ausgang nicht schon vorher absehbar war.
Die Kritiker*innen des grünen Regierungshandeln verloren zwar knapp. Mit 294 zu 315 Stimmen scheiterte ihr Antrag, mit dem sie die von grünen Regierungen beschlossene Abbaggerung von Lützerath verhindern wollten. Bei den grünen Minister*innen in Bundes- und Landesregierungen dürfte die Botschaft ob des knappen Ergebnisses trotzdem angekommen sein: In Klimafragen dürfen sie sich nicht mehr viele Kompromisse erlauben. Alles wird ihre Partei nicht mitmachen.
Es war der einzige Moment des Wochenendes, in dem die offene Rebellion in der Luft lag. In anderen Themenfeldern ging es weit weniger aufregend zu. Heißt das im Umkehrschluss, dass sich die Partei jenseits von Klimafragen in der Beliebigkeit eingerichtet hat; dass sie im Namen der Vernunft alle Zumutungen abnickt, die ihnen die Spitze vorgibt?
Der Eindruck liegt nahe, aber täuscht. Zwar reicht das Verständnis für Pragmatismus und Kompromissbereitschaft inzwischen tatsächlich bis in die Breite der Partei. Trotzdem setzten die Delegierten am Wochenende auch jenseits von Lützerath eigene Akzente und Grenzen für das grüne Regierungshandeln. Es knallte nur weniger: Wenn es geht, machen sie es lieber im Stillen.
Klarer Beschluss zur AKW-Frage
Besonders deutlich zeigen das die Beschlüsse zu längeren Laufzeiten für Atomkraftwerke. Der Parteitag hat festgeschrieben, was die grüne Bundestagsfraktion in den vergangenen Wochen vorbereitet hat: enge Vorgaben für den eigenen Wirtschaftsminister. Robert Habeck würde sich im Konflikt mit der FDP womöglich noch weiter strecken als bisher, um einen Kompromiss zu erzielen. Die Partei aber geht höchstens bei ein paar Wochen Streckbetrieb für zwei AKWs mit. Dass sie Habeck nicht mehr erlaubt, ist jetzt Beschlusslage.
Richtig sichtbar wurden dieser parteiinterne Konflikt und viele andere in Bonn aber nicht. Das liegt am Modus des Konfliktmanagements, das in der grünen Funktionärsebene und darüber hinaus alle verinnerlicht haben: Den Dissens trägt man nach Möglichkeit nicht auf der Bühne aus. Man sucht schon vorher hinter den Kulissen den Kompromiss, feilt an gemeinsamen Formulierungen und geht dadurch Kampfabstimmungen aus dem Weg, wo es geht.
Kritische Positionen fließen so oft auch ohne großen Knall in die Beschlüsse ein, im Fall der Atomkraft sogar beinahe im Wortlaut. Diese Art des innerparteilichen Korporatismus passt gut zum Land: Zerstrittene Parteien mögen die Wähler*innen in Deutschland nicht.
Verwässerte Anträge
Der Nachteil dieses Verfahrens: Kompromisse tragen es in sich, dass Forderungen verwässern. Nicht immer setzen sich die Antragsteller*innen so umfassend durch wie im Fall der Atomkraft. So heißt es im Beschluss zu höheren Bürgergeldsätzen nicht mehr, dass diese noch in dieser Legislatur kommen müssen, sondern nur noch, dass sich die Grünen noch in dieser Legislatur dafür einsetzen.
Aus einem Antrag für eine Vermögensabgabe ist gar der Begriff Vermögensabgabe verschwunden. Und Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien? Der Parteitag bestätigt in seinem geeinten Beschluss zwar, dass er solche Lieferungen ablehnt. Dass die Bundesregierung mit grüner Beteiligung gerade erst welche genehmigt hat, wird aber nicht mehr erwähnt. Neu hinzugekommen ist dafür das Zugeständnis, dass solche Entscheidungen eben nicht leicht seien.
Bei so viel Verständnis für die eigenen Leute im Kabinett: Was haben die grünen Minister*innen denn zu befürchten, wenn sie sich nicht an den Beschluss halten? Wenn sie sich bald wieder vor die eigenen Leute stellen und beichten, dass sie mit ganz großen Bauchschmerzen weiteren Exporten zustimmen mussten?
Waffenexporte wegen Kindergrundsicherung
Abwegig ist das nicht. Auf dem Parteitag klang Annalena Baerbock an dieser Stelle zumindest nicht einsichtig. Die Außenministerin trat als eine Art Sigmar Gabriel mit Herz für Kinder auf: Sie rechtfertigte die Waffenexporte an die Saudis damit, dass ohne sie soziale Projekte wie die Kindergrundsicherung in Deutschland in Gefahr seien. Am Ende der Rede – bloß keine Risse zeigen – erhielt sie dennoch Standing Ovations.
Widerspruch am Redepult gab es dagegen nur von vereinzelten Basismitgliedern. Bei den Grünen von heute belächelt man diese Leute gerne als schrullige Gestalten von vorgestern. Jenseits der Klimapolitik gilt jedoch: Dass der Streit hinter den Kulissen ausreicht, damit die Partei im Ergebnis bei allem Pragmatismus die eigenen Grundsätze nicht vergisst, dass müssen die Grünen nach diesem Parteitag erst noch beweisen.
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