Ende der Digitalkolumne: Schluss nach 700 Jahren
Der Speicherplatz ist voll, die Brainfestplatte muss dringend defragmentiert werden. Der „Nullen und Einsen“-Kolumnist verabschiedet sich.
A m 11. Mai 2012 erschien meine erste „Nullen und Einsen“-Kolumne. Hätte ich das Honorar damals in Bitcoin investiert, wären diese jetzt knapp 200.000 Euro wert. Habe ich aber natürlich nicht.
So viel zu meiner Digital-Expertise. Für die taz reichte sie, und so durfte ich die vergangenen sieben Jahre rund 50 Folgen „Nullen und Einsen“ schreiben, eine davon übrigens auch über mein Kryptowährungskauf-Dilemma (“Bitcoin, Schmidtcoin!“). Ich machte mir Gedanken über Datenbrillen und Datenmassenmetaphern. Ich schrieb über Pokémon Go und die digitale Steuerklärung. Ich ging im Selbstversuch eine Minute offline und machte eine Reise ins Darknet.
Das hier ist nun die letzte Folge. Es reicht, mir jedenfalls. Mein Kolumnen-Speicherplatz ist voll. Meine Brainfestplatte muss defragmentiert werden. I need to turn on and off again.
Nun sind sieben Jahre so viel wie 700 Internetjahre. Eine lange Zeit, in der das Digitale tatsächlich ein wenig weiter ins allgemeine Bewusstsein gerückt ist. Konnte ich anfangs Snapchat als neues soziales Netzwerk vorstellen, mehrere Monate nach dessen Start, stehen heute fast jeden Tag Geschichten aus diesem Internet in der taz (was die Kolumnenthemenfindung auch nicht leichter machte).
Alles Neue ist gut und spannend
Dennoch wird auch im Jahr 2019 Twitter regelmäßig als „Internet-Kurznachrichtendienst“ erklärt und gibt es weiterhin viele Menschen, für die das Digitale das große Andere ist, das mit dem „echten Leben“ wenig zu tun hat. Dazu passt, dass ich in den letzten Jahren immer mal Schreibanfragen zu Themen bekam, von denen ich absolut keine Ahnung hatte, zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz etwa oder zur Mailverschlüsselung. Kraft meines Kolumnenamtes galt ich einigen offenbar als Experte für alles „mit Computern“, auch wenn ich an dieser Stelle quasi nie rechtliche oder technische Fragen behandelt habe.
Mir ging es vielmehr darum, was die Technik mit dem Menschen macht und umgekehrt. Und das mit einer – in Sachen Digitales Leben der taz eher seltenen – Haltung, die ich vor knapp 15 Jahren im Autorenkollektiv des Weblogs Riesenmaschine eingeimpft bekommen habe und die man auch als „Passig-Doktrin“ bezeichnen kann: Alles Neue ist gut und spannend, mindestens bis zum Beweis des Gegenteils. Denn digital ist besser, natürlich ist es das! Wir leben schließlich auch nicht mehr in schlecht gerenderten Felshöhlen, sondern in hochauflösenden Wohnungen (in Farbe).
Zum Schluss noch viel <3 an das Ressort taz zwei dafür, dass es mir jahrelang 100 Zeilen Platz und komplette kreative Freiheit gegeben hat. Und noch mehr <3 an meine Ko-Kolumnistinnen Meike Laaff und Svenja Bednarczyk.
Außerdem alles Gute an Anna Goldenberg, die hier ab September über unseren Umgang mit der Digitalisierung schreiben wird. Denn auserzählt ist die Sache mit den Nullen und Einsen natürlich noch lange nicht. Mögen Homer Simpsons Worte noch lange gelten: „Das Internet? Gibt’s den Blödsinn immer noch?“
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