„LNG – Diese Insel kriegst du nie“

Angesichts ohnehin voller Gasspeicher protestieren Be­woh­ne­r:in­nen der Insel Rügen gemeinsam mit Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen gegen ein Flüssiggas-Terminal im Hafen von Mukran

Mitglieder der Gruppe Ende Gelände auf dem Weg nach Mukran, wo es rund 200 Ak­ti­vis­t:in­nen gelingt, kurzzeitig den Hafen zu besetzen  Foto: M. Golejewski/Adora Press

Aus Mukran Erik Peter

Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen von Ende Gelände haben am Samstag das Hafengelände von Mukran besetzt. Die Aktion fand im Rahmen einer Demonstration gegen das dort geplante Terminal für Flüssiggas (LNG) statt. Etwa 200 Teil­neh­me­r:in­nen schafften es auf einen Stapel von Pipeline-Rohren, die sie mit Slogans wie „Fight LNG“ bemalten.

Die Bundesregierung hat vor, in Muran auf der Ostseeinsel Rügen ab Anfang nächsten Jahres ein schwimmendes LNG-Terminal aus zwei Regasifizierungsschiffen in Betrieb zu nehmen. Betreiben soll es der Gaskonzern Deutsche Regas. Das in flüssiger Form angelieferte Fracking-Gas soll dort wieder in gasförmigen Zustand verwandelt und dann über eine 50 Kilometer lange Pipeline durch das hochsensible Ökosystem Greifswalder Bodden nach Lubmin bei Greifswald transportiert werden. Insgesamt hat der Bund an fünf Standorten acht schwimmende und drei feste LNG-Terminals geplant – als Ersatz für russische Erdgaslieferungen.

Auf Rügen haben die im Januar bekannt gewordenen Pläne für Entsetzen gesorgt; etwa wegen des damit verbundenen dauerhaften Lärms, der Licht- und Umweltverschmutzung. Doch 1.200 Einwendungen gegen das Projekt, 60.000 Unterschriften einer Petition, unzählige Gespräche oder Demonstrationen konnten dem Großprojekt bislang nichts anhaben. Inzwischen wird der erste Teil der Pipeline gebaut, aufgrund des LNG-Beschleunigungsgesetzes ohne Umweltprüfungen.

Gestartet war die Demonstration am Samstagvormittag in Sassnitz im Nordosten der Insel in der Nähe des Hafens Mukran. Auf dem Kundgebungsplatz, mit der Ostsee im Rücken sprachen etwa ein Dutzend Engagierte von lokalen Initiativen und Umweltverbänden. Radikale Ka­pi­ta­lis­mus­geg­ne­r:in­nen mit Schlauchschals vermischten sich mit Anwohner:innen, die davon berichteten, wie die Arbeiten jetzt schon zur Folge hätten, dass der Strand vibriere. Eine Vertreterin des Gemeinderats fasste die Stimmung zusammen: „Nicht aufgeben, bis das Ding nicht wirklich durch ist.“ Der anwesende Bürgermeister von Sassnitz, Leon Kräusche, Befürworter des Projekts, ging trotz Aufforderung nicht ans Mikrofon. Die Menge skandierte: „LNG – diese Insel kriegst du nie.“

Angeführt wurde der Demonstrationszug von etwa 200 Mitgliedern der Bürgerinitiative Lebenswertes Rügen. 400 Teil­neh­me­r:in­nen von Ende Gelände folgten in weißen Maleranzügen. Nach zwei Stunden brach dieser Block aus; die eine Hälfte verschaffte sich Zugang zum Hafengelände. Andere, die ebenfalls Rohre besetzten wollten, die vor der Küste aufgestapelt waren, wurden nach dem Überwinden eines Zauns von der Polizei gestoppt. Die Ak­ti­vis­t:in­nen konnten sich daraufhin wieder dem Demozug anschließen.

Diejenigen, die es zu ihrem Ziel, einer letztlich symbolischen Blockade, geschafft hatten, machten es sich dort bequem, lagen auf und in den Röhren, gaben Interviews. Die Polizei schirmte den Bereich nur ab. Nach mehr als drei Stunden konnten die Ak­ti­vis­t:in­nen ohne Personalienfeststellungen abziehen.

Am Freitag hatte Im Protestcamp auf dem Biohof Frankenthal inmitten umherlaufender Hühner die zentrale Pressekonferenz stattgefunden. Sie symbolisierte den Schulterschluss zwischen Anwohner:innen, linksradikalen Aktivist:innen, Umweltverbänden und Wissenschaft: vereint in der Kritik, dass die LNG-Teminals fatal für Rügen und seine Natur, aber auch für die deutsche Energiewende und die damit verbundenen Klimaziele – Klimaneutralität bis 2045 – sind. Deutschland brauche das Gas nicht, sondern würde Überkapazitäten aufbauen, die dann wiederum exportiert würden, so die gemeinsame Überzeugung.

Christian von Hirschhausen, Professor für Infrastrukturpolitik der TU Berlin, stellte ein am selben Tag erschienenes Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung vor. Dessen Ergebnis: Mukran ist zur Vermeidung einer Gasmangellage nicht notwendig. So seien die Gasspeicher in Deutschland und Europa „schon jetzt vollständig gefüllt“ und wären alleine in der Lage, den Gasbedarf in zwei sehr kalten Winter zu decken. Dass mit den Terminals Überkapazitäten aufgebaut werden, die den Klimazielen der Bundesregierung widersprechen, hatten zuvor schon andere Gutachten festgestellt.

Zudem, so von Hirschhausen, gefährde das Projekt den „Lebensraum Ostsee und behindert eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung“ der touristisch geprägten Insel. Die immer wieder verbreitete Erzählung, die Infrastruktur könne anschließend für Wasserstoff genutzt werden, wies er mit Verweis auf die fehlende Industrie auf Rügen ziurück. Ergo: „Die Bundesregierung sollte den Ausbau der LNG-Infrastuktur stoppen.“

Milena Pressentin von der Deutschen Umwelthilfe sprach von „irreversiblen Schäden“ für das Ökosystem. „Das ist besonders dramatisch, weil diese Zerstörung nicht notwendig ist.“ Die Umwelthilfe war zuletzt mit einem Eilantrag gegen den ersten Teil des Pipelinebaus gescheitert, strebt nun aber eine Klage im Hauptverfahren an. Auch gegen alle weiteren Stufen des Ausbaus würden Klagen geprüft.

Triebe ein FDP-Minister diese Projekte voran, käme er damit nicht durch

Ende-Gelände-Sprecherin Charly Dietz sprach von einer Fortsetzung der „Geschichte neokolonialer Ausbeutung“ – jedes Terminal hier erfordere ein Exportterminal anderswo. Die Fracking-Leidtragenen durch Bodenzerstörung und Wasserverschmutzung seien überwiegend Einheimische. Notwendig sei ein „radikaler Systemwechsel“.

Stefanie Dobelstein von der Bürgerinitiative Lebenswertes Rügen freute sich über die Unterstützung der Klimaaktivist:innen, denn auf der Insel sei trotz der großen Ablehnung auch schon Resignation zu spüren. Man habe alle „demokratischen Möglichkeiten genutzt“, aber man werde, gerade auch von Wirtschafts- und Energieminister Robert Habeck (Grüne), nicht gehört.

Die „fehlende Solidarisierung des Grünen-Milieus“ sei auffällig und ein zentrales Problem für die Erfolgsaussichten des Protests, so Johannes Hecht, Protestteilnehmer aus Vorpommern. „Wenn ein FDP-Minister diese Projekte vorantrieben würde, würde er damit nicht durchkommen.“

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