Elmshorner Lichtermarkt unter rechtem Beschuss: Hetzparolen statt Weihnachts-Frieden
Die ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete und heutige AFD-Sympathisantin Erika Steinbach polemisiert gegen den „Lichtermarkt“ in Elmshorn. Doch ihre Kritik kommt zehn Jahre zu spät..

Der Stein des Steinbachschen Anstoßes: Ein Plakat des „Lichtermarkts“ in Elmshorn (Kreis Pinneberg). Ob sich Steinbach eher an der Bezeichnung Lichtermarkt stört oder an der Abbildung eines Mädchens, das womöglich nicht ihrer Idealvorstellung eines deutschen Kindes entspricht, verrät die 74-Jährige – die im Januar aus der CDU austrat und seitdem die AfD unterstützt – nicht. Doch ihr Lichtermarkt-Bashing liegt voll im Trend. Überall in der Republik stören sich besorgte Mitmenschen in der beginnenden Vorweihnachtszeit an Lichterfesten, Winterbasaren oder Knuspermärkten, folgern aus dem Fehlen des Begriffs „Weihnacht“ eine Komplett-Kapitulation vor dem Islam.
4.000 Mal wurde Steinbachs Facebook-Post bis Mittwoch geteilt. Bestärkende Kommentare meist männlicher Follower überschlagen sich: „Wenn im nächsten Jahr eine Frau mit Burka auf den Plakaten zum Chariafest anstatt zum Weihnachtsfest winkt, dann haben die ewig dummen Gutmenschen bestimmt auch eine tolle Erklärung für uns parat“, blickt ein Thomas L. in die Zukunft, und ein Michael R. prognostiziert: „Wir sind auf dem Weg zur Islamischen Republik.“ Der Dresdner Anwalt und AfD-Sympathisant Maximilian Krah postet: „Soso, ’Lichtermarkt’ – so tief sind nicht mal die Kommunisten in der DDR gesunken. Schäm dich, Elmshorn!“
In der Elmshorner Stadtverwaltung ist man über die Steinbach-Äußerungen entsetzt. „Für uns als Stadt ist es inakzeptabel, dass eine so traditionsreiche und von unserer christlichen Kultur geprägte Veranstaltung wie der Elmshorner Lichtermarkt instrumentalisiert wird, um im politischen Umfeld Stimmung zu machen“, schimpft Elmshorns Bürgermeister Volker Hatje (parteilos). Und weist darauf hin, dass die Namensgebung und das Plakatmotiv mitnichten ein zeitgemäßer Kniefall vor dem Islam seien. Der Lichtermarkt heiße aufgrund der besonderen Beleuchtung, die ein Highlight der Veranstaltung sei, schon seit 2007 so, nur habe sich bislang niemand daran gestört. Die Umbenennung sei damals aus Marketinggründen erfolgt.
Und auch das Mädchen ohne blonde Zöpfe ziere das Plakat immerhin schon seit 2011. Und das bislang ohne erkennbaren Widerstand zu provozieren. Das abgebildete Mädchen gehöre übrigens zu den 50.000 EinwohnerInnen von Elmshorn, ergänzt Hatje. 2011 waren 40 Elmshorner Kinder zu einem Fotoshooting erschienen, um sich als Werbebotschafter für den Markt fotografieren zu lassen. Danach wurden die Bilder in verschiedenen Geschäften ausgestellt. Das Mädchen mit dem Afrolook wurde schließlich ausgewählt und seitdem jährlich auf die Markt-Plakate gedruckt, um einen Wiedererkennungswert zu gewährleisten. „Wir lassen uns auf keine Diskussion ein, in der Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert werden“, sagt der Bürgermeister.
Neben viel Applaus bekommt Steinbach in den Sozialen Medien auch Gegenwind. Sie kenne „keine Frau in ihrem Alter, die so wenig denken kann, wie Frau Steinbach“, postet eine Karin L., während ein Wolfgang M. sich in Ironie übt: Er habe „im Internet gelesen – und dann muss es ja stimmen – dass unser Weihnachtsreifen mittlerweile in Winterreifen umbenannt wurde. Die Islamisierung schreitet also unaufhaltsam voran!“
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Bildungsforscher über Zukunft der Kinder
„Bitte nicht länger ignorieren“