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Ellenbogen auf dem Trottoir

Der Fußgängerschutzverein klagt über immer mehr Radfahrer auf dem Fußweg. Die wiederum sehen sich von Autos von der Straße gedrückt. Ein Verdrängungswettbewerb, findet der Radlerclub ADFC

von STEFAN ALBERTIund SUSANNE VANGEROW

Sie hatte gerade noch den Blick im Schaufenster, und jetzt schmerzt eine Schulter. Den Mountainbiker, der sie auf dem Fußweg angerempelt hat, hält das nicht auf. Der zeigt der Rentnerin in der Neuköllner Karl-Marx-Straße den Stinkefinger, als sie ihren Ärger herausschreit. Seine Geste ist klar: Wer weiterkommen will, muss die Ellenbogen ausfahren. Vor allem, wenn er selbst verdrängt wird. „50 Prozent der Radfahrer ist es auf der Straße zu gefährlich“, sagt Michael Föge, Berliner Chef des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC). Immer mehr Radler würden auf dem Bürgersteig fahren, kritisiert der Fußgängerverband Fuss e.V. „Ein Verdrängungswettbewerb“, sagt Föge.

Dabei sind sich Radlerclub und Fuss e.V. im Prinzip einig. Mehr Radwege sollen her, dann würde sich das Problem verringern. Dreimal so viele wie bislang müsste es laut ADFC geben. Denn jeder zehnte Weg wird in Berlin mit dem Rad zurückgelegt, fast verdoppelt hat sich seit den frühen 90ern der Radanteil am Gesamtverkehr. Trotz dieser gestiegenen Quote liegt Berlin aber deutlich hinter Amsterdam (28 Prozent) und auch knapp hinter München (12 Prozent).

Folglich bleibt es vorerst beim Verteilungskampf auf dem Fußweg. Der Fuss e.V. leitete gestern in Mitte öffentlichkeitswirksam Radfahrer vom Gehweg, rollte symbolisch einen Radstreifen auf der Straße aus. Viele Radler seien sogar der festen Meinung, dass Fahren auf Bürgersteigen legal sei, kritisiert Vereinssprecher Karl-Heinz Ludewig. ADFC-Landeschef Föge mag die Kritik an den Radfahrern nicht so stehen lassen, sieht auch Fehlverhalten bei der anderen Seite. „Auf dem Radweg haben Sie alle 50 Meter einen Fußgänger vor sich und müssen klingeln.“

Die Polizeistatistik stützt den Vorwurf von immer mehr Radlern auf dem Bürgersteig. 1.701 Anzeigen gab es vergangenes Jahr wegen Radfahrens auf Fußwegen und in Fußgängerzonen, 126 mehr als ein Jahr zuvor. Dafür sind mindestens 10 Euro Verwarnungsgeld fällig. 15 bzw. 35 Euro kostet es, wenn die Polizei die Sache als Behinderung oder Gefährdung einschätzt.

Das klingt, als ob die von Autos Verdrängten ihre Körperhaltung wörtlich nehmen: nach oben buckeln, nach unten treten, wie im richtigen Leben. Die tatsächlichen Zusammenstöße zwischen Radfahrern und Fußgängern hingegen werden weniger. 128 Unfälle im Jahr 2000, 94 im vergangenen Jahr, 28 bis Ende Mai dieses Jahres sind im Polizeicomputer registriert. 17 Schwerverletzten 2000 stehen 2001 vier gegenüber, Todesfälle gab es nicht. Der Fußgängerverein argumentiert mit bundesweit 22 Toten im Jahr 1994.

Gestern bei der Fuss-e.V.-Demo konnten sich im Verteilungskampf die Fußgänger durchsetzen, ein paar dutzend Radfahrer auf den symbolischen Radstreifen umleiten. Heute aber wird wieder jemand einem Rempler hinterherschreien müssen, auf der Karl-Marx-Straße oder anderswo. Und morgen auch. Bis es auch dort mal einen Radweg gibt. Einen echten.

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