Elke Suhr, Künstlerin: "Ich war dem Sog selbst erlegen"

Ihr "Einstellungsraum für Kunst im Straßenverkehr" diskutiert das Wesen und die Folgen der Automobilität. Dass Elke Suhr das an einer der am stärksten befahrenen Straßen Hamburgs tut, ist eigentlich eher Zufall - aber es hilft.

"Es müsste wohl am ehesten ,Feldforschung' heißen": Elke Suhr betrachtet den vorbeibrandenden Verkehr. Bild: Miguel Ferraz

taz: Frau Suhr, ist Ihre Auto-Galerie in einem ehemaligen Blumenladen ein Politikum? Ein verspäteter Flower-Power-Ansatz beispielsweise?

Elke Suhr: Nein, sicher nicht. Dass ich diesen Ort gewählt habe, noch dazu an dieser stark befahrenen Straße, war eher Zufall. Ich wohne hier um die Ecke und suchte einen Ort, an dem ich eigene Arbeiten zu dem Thema ausstellen konnte. Da sah ich, dass das Ladenlokal frei wurde. Es war nicht teuer und gefiel mir mit seinen schön geschwungenen Blumen-Podesten. Und mit der Vermieterin - einer schon über 80-jährigen Blumenhändlerin - verstand ich mich sofort. Sie schätzte mich als Mieterin, und so bin ich geblieben. Abgesehen davon: Eine Auto-Galerie ist es ja gar nicht. Es ist ein "Einstellungsraum für Kunst im Straßenverkehr".

Zielen Sie damit ab auf ein Statement für oder gegen das Auto?

Anfangs war ich in der Tat kämpferisch gegen das Auto eingestellt, weil ich sah, welch ein Wahnsinn das ist - und welch eine Gewohnheit. So ein Auto ist ja auch unglaublich praktisch. Aber wie es zurzeit funktioniert, macht es Straßen und Städte kaputt. Inzwischen bin ich aber von dieser konfrontativen Position abgekommen und versuche, mit Hilfe der Ausstellungen Erkenntnisse anzubieten. Das halte ich für produktiver.

Ihr diesjähriges Motto lautet: "Autos fahren keine Treppen." Weiß das nicht ohnehin jeder?

Natürlich. Damit sind ja aber keine konkreten Treppen gemeint, sondern die Überwindung der materiellen Ebene. Der Aufstieg zum Metaphysischen.

Im Auto.

Eben nicht, das ist ja genau der Punkt. Das als Freiheits- und Glücksbringer gepriesene Auto wird immer nur horizontal fahren, aber niemals nach oben. Will sagen: Mit der Maschine kannst du ein Stück weit kommen. Aber irgendwann musst du aussteigen und sehen, wie du hinaus kommst über die materielle Welt, über das reine Nach-vorn-Streben und Immer-schneller-Werden. Wie du Erkenntnis gewinnst. Die Treppe ist als Symbol also gewissermaßen die Gegenposition zur Horizontalen. Analog zur "Jakobsleiter", die die Menschen des Alten Testaments als Zugang zum Himmel beziehungsweise zur geistige Sphäre betrachteten.

71, ist Kunsterzieherin und international tätige freie Malerin, Fotografin und Aktionskünstlerin.

Seit 1995 Mitglied im Klagenfurter "Verein zur Verzögerung der Zeit", seit 1997 im Vorstand des Berufsverbandes Bildender Künstler in Hamburg.

2001 gründete Suhr in Hamburg den "Einstellungsraum", den sie seither auch leitet:

Einstellungsraum für Kunst im Straßenverkehr, Wandsbeker Chaussee 11, Hamburg; www.einstellungsraum.de

Und da wollen Sie hin?

Tatsächlich orientiere ich mich inzwischen eher an der Vertikalen. Auch deshalb, weil ich bemerkt habe, dass ich nur dann im Lot bin, wenn ich alle - in der fernöstlichen Theorie vertikal auf der Körperachse aufgereihten - Chakren beziehungsweise Energiezentren gleichermaßen spüre. Dann werde ich weniger von Impulsen hin und her gezerrt.

Aha. Und was hat das nun genau mit Ihrem "Einstellungs-Raum" zu tun?

Er erlaubt genau diesen Perspektivwechsel. Hier rasen ständig Autos vor dem Schaufenster vorbei - in der Horizontalen natürlich. Die Betrachter aber stehen in der Vertikalen. Und genau das ist die Botschaft dieses Raumes: Er lädt dazu ein, sich nicht festgeschnallt in einer Maschine zu bewegen, sondern aus diesem Strom auszusteigen und zur Ruhe zu kommen. Nur dann kann ich ja überlegen, wo ich stehe, anstatt mich im Schwarm hin und her reißen zu lassen.

Eine Kritik an Mitläufertum und Hierarchien?

Es ist nicht mein Ansatz, mich gegen herrschende Autoritäten zu wenden. Ich akzeptiere, wenn das Künstler tun, die wir hier ausstellen. Mir persönlich ist es allerdings lieber, Phänomene wie das Getriebensein in Ruhe zu betrachten und nach der dahinter liegenden Einstellung zu schauen. Deshalb habe ich das hier "Einstellungs-" und nicht "Ausstellungsraum" genannt.

Aber Sie zeigen Ausstellungen.

Ja. Aber das Ziel ist, nach innen zu kommen, sich selbst wahrzunehmen und dann frei zu entscheiden: Steige ich ein oder gehe ich lieber zu Fuß. Brauche ich Ruhe, - oder erliege ich dem Sog der Automobilität?

Sind Sie selbst ihm je erlegen?

Ja. Ich hatte 20 Jahre lang ein Auto. Vor 20 Jahren, 1991, habe ich es abgeschafft.

Warum?

Ich hatte damals eine Lebenskrise, in deren Verlauf meine Schwester einen schweren Autounfall hatte. Ein anderes Mal entkam ich selbst knapp einer Kollision. Zur selben Zeit warb Greenpeace dafür, dass man sein Auto mal vier Wochen stehen lassen sollte. Das habe ich getan und gemerkt, es geht ohne Auto. Ich habe es dann sehr bald verkauft.

Fühlten Sie sich freier?

Anfangs nicht. Mir wurde bewusst, dass man als Autofahrer in bestimmten Routen denkt, die für den Fußgänger nicht funktionieren. Zunächst empfand ich meine Langsamkeit wie Blei an den Füßen. Als ich mich umgestellt hatte, bin ich sehr viel wacher geworden: Ich habe Gerüche und Geräusche von Natur und Menschen bemerkt. Die ganze Welt war plötzlich Theater. Auch wenn ich im Bus sitze, ist das wie ein Theaterstück: Wer sitzt neben wem? Was erzählen sie sich?

Welches Stück spielen Sie in Ihrer Galerie?

Es müsste wohl am ehesten "Feldforschung" heißen. Wir haben Jahresmottos, die abwechselnd technikbezogen und metaphysisch sind. Voriges Jahr lautete es "Hybrid", diesmal "Autos fahren keine Treppen". 2012 soll es dann "Schalten und Walten" sein.

Was haben Technik und Metaphysik gemeinsam?

Das habe ich vor vielen Jahren im Zuge meiner Unterrichtsvorbereitung als Kunsterzieherin herausgefunden. Damals wollte ich Schülern erklären, was man unter "Bild" verstehen kann. Es gibt ja den Ausdruck "vera icon", das "wahre Bild", womit zum Beispiel das Schweißtuch der Veronika mit dem Antlitz Christi gemeint ist - ein Ur-Bild gewissermaßen. Der englische Dichter Thomas Norton hat das in der Renaissance weitergedacht und ein alchemistisches "Läuterungsmuster in Form eines Ofens" ersonnen.

Was ist das?

Ein gezeichnetes Modell, das die Welt in verschiedene Sphären aufteilt und den Weg vom Chaos zur Erkenntnis und letztlich zu Gott aufzeigt. Später habe ich bemerkt, dass der erste Motor, der "atmosphärische Flugkolbenmotor", aus dem später der Otto-Motor wurde, nach genau diesem Muster funktioniert: Auch er arbeitet von unten nach oben. Nur, dass der Motor seine Energie nicht nach oben abgibt, sondern in die Horizontale. Und genau diese Frage treibt mich immer noch um: ob die stets auf der Horizontalen bleibenden, in ihren Abläufen starre Maschine nicht ein Irrtum ist.

Haben Sie das mit Technikern diskutiert?

Ich habe es versucht. Ich war bei Daimler-Benz in Untertürkheim und habe in Hamburg den Kontakt zu BMW gesucht und auch versucht, sie als Sponsoren zu gewinnen. Aber da war immer eine große Fremdheit.

Inwiefern?

Die Leiter dieser Automobilfirmen sind sehr auf ihre Erfindungen fixiert. Das ist verständlich, weil sie sich auf dem Markt behaupten müssen. Trotzdem hat mich überrascht, dass sie selbst ein harmloses Gespräch über Grundsatzfragen so ablenkend fanden, dass sie damit nichts zu tun haben wollten. Auch kann kaum noch einer der Techniker etwas zum atmosphärischen Flugkolbenmotor sagen. Sie kennen ihre aktuellen Motoren, deren PS, den Lack, die Karosserie - aber nicht, was drinnen passiert. Wenn ich von Metaphysik anfing, haben sie mich angeguckt, als käme ich vom Mond.

Aber mit Philosophen können Sie darüber reden.

Kaum.

Warum nicht?

Metaphysik ist zur Zeit unmodern und gilt als verdächtig. Nietzsche hat ja behauptet, Gott ist tot. Daran halten sich fast alle.

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