Elektroschrott in Afrika: Flachbildschirme für Nigeria
Computer? Handys? Fernseher? Kaufen, kaufen, kaufen, heißt die Devise in Afrika. Doch für den anfallenden Elektromüll fehlen professionelle Verwertungsketten.
BERLIN taz | In Westafrika fallen immer größere Mengen Elektroschrott an. Die meisten kaputten Fernseher, Computer und Mobiltelefone stammen dabei aus dem Konsum vor Ort. Das ist das Ergebnis einer Studie des UN-Umweltprogramms, die jüngst veröffentlicht wurde.
In den fünf untersuchten Ländern Benin, Elfenbeinküste, Ghana, Liberia und Nigeria fällt jährlich rund eine Millionen Tonnen an Elektroschrott an. Etwa ein Viertel davon wird bereits als unbrauchbarer Abfall importiert, vor allem aus Europa.
"Die steigende Nachfrage nach Elektroartikeln ist der größte Faktor", sagt Mathias Schluep vom Schweizer Forschungsinstitut Empa, das an der Studie beteiligt war. Demnach werden in der Region heute zehnmal mehr Computer und hundertmal mehr Handys verkauft als vor zehn Jahren.
Vor allem die Nachfrage nach gebrauchten Produkten sei hoch, so Schluep. Allerdings seien nur gute Geräte gefragt, die technisch auf dem neuesten Stand seien. "Auch in Nigeria wollen die Konsumenten einen Flachbildschirm", sagt Schluep, "veraltete Röhrenfernseher landen sofort auf dem Müll."
Verschärfte Entsorgungsproblematik
Das Problem sei also nicht generell der Import von Second-Hand-Geräten, sondern der von veralteten und kaputten. Etwa 250.000 Tonnen schrottreifer Elektrogeräte landet jährlich in den Häfen der westafrikanischen Küste. Sie verschärfen die Entsorgungsproblematik, zu der der steigende Konsum vor Ort führt.
Denn eine entsprechende Recyclingindustrie ist bislang nicht entstanden. Noch immer werden Kühlschränke, Fernseher oder Computer per Hand ausgeschlachtet, wobei Menschen und Umwelt unter den zum Teil giftigen Inhaltsstoffen leiden. Um an begehrte Materialien wie Kupfer zu gelangen, werden Kunststoffkabel abgebrannt - eine Quelle für Luftverschmutzung durch Dioxin.
Giftige Inhaltsstoffe wie Quecksilber oder Blei gelangen ins Abwasser. Die Regierungen vor Ort arbeiteten bereits an schärferen Gesetzen, so Schluep. Beim Aufbau einer effizienten Recyclingindustrie müssten sie dringend unterstützt werden, sagt Andreas Manhart vom Freiburger Öko-Institut, denn die bestehende Hinterhof-Wirtschaft könne nicht einfach geschlossen werden.
Sie sichere Familien ein Einkommen und sei bislang auch wettbewerbsfähig. "Ökonomisch gesehen sind die Profis heute im Nachteil", so Manhart. Zu dem Engagement vor Ort seien zudem effektivere Ausfuhrregelungen in Europa notwendig als bisher. "Es kann nicht sein, dass wir unseren Elektroschrott billig in afrikanischen Ländern entsorgen, denen dafür die Voraussetzungen fehlen", sagt Manhart.
Mafiös organisierte Abfallhändler
So müsse bei den anstehenden Debatten etwa über ein neues Wertstoffgesetz und die Novellierung des Elektrogesetzes für transparente Entsorgungsketten gesorgt werden. Sprich: Bislang ist es mafiös organisierten Abfallhändlern möglich, zu viel Elektroabfall illegal zu exportieren, weil ihre Sammlung an Straßenrändern erfolgt oder die Kommunen sie obskuren Entsorgern überantworten. Denn verboten ist die Ausfuhr von Elektroschrott schon jetzt, doch hapert es an den Kontrollen.
Noch anspruchsvollere Gesetze seien nicht nötig, befindet Manhart: "Der Zoll kann schließlich nicht jeden alten Computer hochfahren, um zu testen, ob er noch geht." Vielmehr müssten die bestehenden Regeln anwendungsfreundlicher werden. Bislang muss zum Beispiel der Zoll nachweisen, dass ein Gerät nicht mehr funktionstüchtig ist. "Das könnte man umdrehen: Der Exporteur muss beweisen, dass es noch zu gebrauchen ist", so Manhart.
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