Elektroschocker für Hamburgs Polizei: Mehr Taser, mehr Gewalt
Hamburgs Polizei will mit Elektroschockern aufrüsten, damit sie seltener schießen. Kritiker fürchten, dass die Gewaltschwelle sinkt.
Auf den ersten Blick schienen die Voraussetzungen für den Elektroschocker-Einsatz perfekt zu sein: Mehr als zehn Beamt*innen waren vor Ort. Omar war allein und trug keine Schusswaffe bei sich. Ob er überhaupt bewaffnet war, ist umstritten. Warum der Taser nicht wirkte, ist unklar. Schließlich töteten Polizisten Omar mit sieben Schüssen.
Jetzt will die Polizei auf eben das Gerät setzen, das vor Kurzem noch versagte. Anders als noch vor drei Jahren angedacht, sollen jedoch nicht sämtliche Streifenpolizisten mit Tasern ausgestattet werden, sondern nur eine weitere Spezialeinheit neben dem SEK, wie Polizeipräsident Ralf Martin Meyer im Hamburger Abendblatt ankündigte.
Die Elektroschockwaffe soll Angreifer handlungsunfähig machen, indem sie ihnen Stromschläge versetzt. Einher gehen damit meist starke Schmerzen. In einem Positionspapier warnt Amnesty International vor Taser-Einsätzen: Die Risiken seien „trotz und wegen ihrer Einordnung als ‚nicht-tödliche‘ Waffe sehr hoch“ und würden unterschätzt. Taser könnten schwere Verletzungen hervorrufen und sogar zum Tod führen.
Gefährlich für psychisch Erkrankte
Besonders gefährlich seien sie für Menschen mit Herz-Kreislauf-Problemen oder psychischen Erkrankungen. Auch Drogenkonsum vergrößere das Verletzungsrisiko. Die Menschenrechtsorganisation fordert daher, dass die Waffe ausschließlich von Spezialeinheiten und im Distanzmodus verwendet werden solle.
In den USA gehört der Taser zur Grundausstattung der Polizei. Zwischen 2000 und 2018 registrierte die Nachrichtenagentur Reuters dort 1.081 Todesfälle nach Einsatz von Tasern durch die Polizei.
Trotzdem fordert die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) Taser schon lange. Diese könnten ergänzend zum Pfefferspray verwendet werden und würden so den Schusswaffengebrauch verringern. „Ziel muss es sein, den Taser zum Teil der persönlichen Ausstattung zu machen“, sagte Thomas Jungfer, der Landesvorsitzende der DPolG, dem Abendblatt.
Mit Tasern soll bis November nun die sogenannte Unterstützungsstreife für erschwerte Einsatzlagen (USE) neu ausgerüstet werden. Die USE nehme Einsätze des Streifendienstes wahr, in denen „von Rechtsbrechern besondere Gewalt gegen Bürger oder die Polizei ausgeübt wird“, sagte eine Sprecherin der Polizei der taz. Die USE befinde sich selbst noch in der Pilotphase. Ihre Einsatzkräfte seien mit Schusswaffen und Pfefferspray ausgestattet. Zusätzlich trügen sie „Ausrüstung für Terrorlagen“ mit sich. Ziel sei vor allem eine Erweiterung der Einsatzmittel unterhalb des Schusswaffengebrauchs.
Laut Sina Imhof, der innenpolitischen Sprecherin der Grünen Hamburg, wird die USE erst evaluiert, bevor sie mit Tasern ausgestattet werde. Sollten bei der Bewertung Einsatzlagen vorgelegen haben, die durch Taser rückblickend „anders gehandhabt worden wären“, würden der Einheit die Elektroschocker zur Verfügung gestellt. Jedes Einsatzmittel berge Vor- und Nachteile, sagt Imhof. Ein flächendeckender Einsatz von Tasern sei nicht vorgesehen.
Gefahr des „uferlosen“ Einsatzes
Thomas Wüppesahl, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizist*innen, befürchtet dagegen sehr wohl einen großflächigen Einsatz der Waffen: Die täglichen Einsätze der USE lägen bereits im zweistelligen Bereich. Er vermutet, dass die Spezialeinheiten künftig flächendeckend tätig werden. Das sei bereits Stand der Entwicklung und der Grund, warum die USE überhaupt mit Tasern ausgestattet würden.
Wüppesahls Meinung nach sollten die Elektroschockpistolen am besten gar nicht eingesetzt werden: Er bezweifelt, dass sie den Schusswaffengebrauch verringern werden. Schon Pfefferspray werde oftmals uferlos verwendet und manchmal auch an den gesetzlichen Regelungen vorbei.
Rafael Behr, Professor für Polizeiwissenschaften an der Hamburger Polizeiakademie, hat die Berichterstattung über die Erschießung Omars in der taz begleitet. Zu Tasern äußert er sich kritisch: Er befürchtet, dass sich die Einsatzhemmschwelle der Polizist*innen senken werde, sollten sich Taser durchsetzen. „Taser würden dann wahrscheinlich eben nicht die Schusswaffe ersetzen, sondern bei harmloseren Situationen verwendet, zum Beispiel als Ersatz für das Pfefferspray“, sagt Behr. Das könne also ein Mehr statt eines Wenigers an Gewalt bedeuten. Damit würde genau das Gegenteil von dem erreicht, was Taser laut Polizeiführung und Gewerkschaft versprechen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen